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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 2 (2. Oktoberheft 1901)
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Gregori, Ferdinand: Zuschauerschmerzen
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0066

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ohne freilich damit irgend etmas auszurichtcn. Der beste Wille rcicht
dazu nicht hin. Die Dircktoren schätzen die eigentlichen Leiter der Auf-
führungen viel zu gering ein, und die Schauspicler hüten sich, solange
sie noch Nollei: spielen, sich auf dcn undankbarsten Posten am Theater
zurückzuziehen. Undankbar ist cr, wcil wedcr die Presse noch das
große Publikuin sich sür ihn interessiert.

Man hat mir gesagt, daß die Fähigkcitcn meines Jdcal-Regisseurs
vollkommen genügten, um zehn draus zu machcn, die alle noch bessec
wären als die, wclche wir gegenwärtig haben. Jch richte meine Augen
dcshalb heutc auf Zuschauerschmcrzen, deren Heilung kcine Kapazität oder
Höhcres erfordcrt. Mcine bishcrigen Vorwürfc erstrecktcn sich auf die
Unfühigkeit, Talente hcranzubilden und die Charaktere der Stückc vom
Gcsichtspunkte der Persönlichkeit aus zu ordncn und in Einklang zu
bringen. Davon brauchtc sich eigcntlich keincr so recht getroffen zu fühleu,
weil es aufs Gesühl ankam, wcil ich in Bildern reden mußte und nicht
den sichtbaren Finger in sichtbarc, klinisch benamsete Wunden legen
konnte, weil, ich möchte sagen: unaussprcchliche Wünsche gcwünscht
wurdcn. Hängen wir uns also diesmal an cinige Aeuherlichkeiten, die
aber wichtig genug sind, wcil sic auf Jnnerlichkeiten hinweisen. Fragen
wir z. B. die Herren vom Regiestuhl, warum sie ihre küustlerischen
Pfleglinge wie angcputzte Wachspuppcn umherlaufen lassen, anstatt sie
zu veruünftiger Klcidung, zu charakteristischen Masken anzuleiten? llnd
zum andcrn : ob ihnen bei den Gestcn ihrer Opernsänger nicht auch das
Lachcn ankommt, wie dem seincren dcr Zuschaucr, und ob dieses Lachen
nicht auf ihre Seele fällt?

Dic Zeitschrift „Bühne uud Wclt" hat den zweifelhaften Ehrgeiz,
Szencnbilder von Neu-Aufführungcn zu bringcu, um diese .Thateu"
der Zukunft würdig zu übcrmitteln und den kleinen Bühnen cinen
Anhaltspunkt für ihrc bescheidcneren Einrichrungcn zu schaffen. Nun,
Gott bewahre alle vor dcn Nachahmungen dieser fürchtcrlichen llnkunst,
bei der leider auch dcr aufnehmcude Photograph den kaum errungencn
Nuhm scines Standcs leichtsinnig wieder preisgibt. Jn der Malcrei
sind wir glücklich so wcit gekommen, daß eincin großen Teile dcs
Piiblikums eine schlichte Landschast über cin sauber erzühltes Novellenbild
geht; die Bühnc aber könntc sogar noch von Piloty und Bcckcr schr
vieles lernen. Da würdcn doch wenigstcns kcine ausgcfrcssenen Choristcn
den Himmel bevölkern, wenn cs gälte, Faustcns Erlüsung in ein Bild
umzusetzcn; da ritten die Walküren nicht in den schlohwcißesten grie-
chischen, dcn Fuß deckeudcn Tcmpelgcwündern durch dic nordischcn
Wäldcr; da sänge der junge Fenton seinc Sercnade vor der „süßen"
Anna nicht in dcm nagelneucn, tadellos sitzcndcn braunen Puffengcwand
mit den obligaten, schrecklich-fcincn, taubengrauen Tricotstrümpfen und
iu blitzenden Lackschühcheu, zu dcnen der ftcifgestärkrc und -geplüttete
Nmlegekragen und die wohlgezähltcn und wohlangcklitschten sechs Stirn-
löckchen licblich passen. Wer mcrkt dann übcrhaupt, daß dicser Fenton
ein verarmter Edelmann ist? Auch von schlcchtcn Friscuren sind die
tüchtigeren Malcr der crzählenden Bildcr wcit wcnigcr abhängig als
unsere gauze Bühnenkunst. Wo singt dcnn dcr Siegfried, dem die
Eitelkeit nicht die Locken gewickelt hat, und der nicht aufs rötlich gc-
schmiiiktc Ohrlüppchcn mehr achtct als darauf, daß cr cinen drauf-

2. Mktoberbest
 
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