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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 2 (2. Oktoberheft 1901)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0087

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Auf der Mathciigasse hat sich vorm Hause des Baumcistcrs Haller in
der frühen Dämmerung, die das dichte Regengewülk herabdunkelt, ein ganzcr
Haufen Leute angesammelt, die schauen alle hinüber und flüstern halblaut erregt.

Jn der düstern Wohnstube läuft der alte Haller herum jwic cin Narr.
Sein Weib lehnr im Sopha neben dem Glasschrank mit bleichem Gesicht.

„Was? was hast gesagt!" schreit der Mann, dah seine Stimmc bis auf
die Gasse hinausgellt, „nicht beleidigen hätten's ihn sollen? So ist's rechtl
red ihm nur s'Wort, üeinem Früchtll s'nächste Mal bringt er einen na ganz um,
dsr Zuchthäusler, der! Der aber, wenn heimkommt, red' ich noch ein Wörtl
deutsch mit ihm mit dem Steckcn. Nausgeschmissen aus der Schul', und froh
mußt noch sein, wcnn's ihn nicht anzeigen bei'm Gericht! Abcr mit der Vor-
nehmthuerei ist's jotzt am End l Jetzt kommt mir der Bursch zum Schustcr-
vetter auf's Land! der wird schon noch cine Zucht in ihn bringenl"

Er läuft aus der Stube und haut die Thür hinter sich zu, daß alles zittert.

Die Mutter wirft ihren Kopf auf die Knie und stohnt auf.

Aus ist's! geht's ihr durch, jetzt ist's ganz aus l scchzehn Jahre lang hat
sie sich sür ihn verstritten. Geschimpft ist's worden, geschlagen, die Schwindsucht
hat sie sich an den Hals gestritten, daß er nur was lernt, daß er was wird
in der Welt! Und jetzt geht er hin und schlägt dcn Rektor halb tot . . . .
Jetzt muß er fort von hier, von ihr! aber was frägt er nach i h r! von ihm aus
wird's wohl hinwerden dürfen allein hier, mit ihrem Schinder! Den Kopf auf
den Knien bleibt sie unbeweglich liegen. Es dämmert immer stärker in der
Stube. Da läutet es leis an dcr Hausthür.

Sie fährt in die Höh'.

Der Vinzenz! wenn er's wär! Ah, das ist gut, daß der Vater nicht da ist!

Sie springt auf, cilt an die Hausthür, öffnet hastig.

Ein Gymnasiast wartet draußen im Zwielicht. Er nimmt die bunte
Mütze vom Kopf.

„Einen Brief hätt' ich an die Frau Baumeister" 'sagt cr und strcckt ihn
ihr hin. „Vom Vinzenz!" flüstert er's rasch.

Sie schlngt die Thür ins Schloß. Sie rcnnt mit dem Brief ans Fenstcr.
Sie reißt den Umschlag auf und liest.

Liebe Atutter!

Jch bin durch. Jch hab schon lang nimmer bleiben mügeu. Sie
sind ja alle geschcitcr wio ich. Jetzt ist mir's ganz recht, daß ich dcn Ober-
lumpcn angepackt hab. Und dcr Alte soll nnch nur gehn lassen, s'ist ge-
scheiter, denn er zwingt mich doch nicht, und ich will nichts von ihm.

Dem Heubergcr Lchrer kannst einen Gruß sagen von mir jund dcr
Stadtschreiberin auch und der Traud. Sonst ist niemand. Jch schrcib
schon noch. Vinzcnz.

Kunstwart
 
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