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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1901)
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Batka, Richard: Die Guntramlegende
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0111

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die da lautet: Selbstverbannung und Vcrzicht auf die geliebte Frau.
Jm ersten Entwurfe las man's anders. Da entsagte Guntram nicht
aus eigeuem Antriebe, sondern gehorsam dcm Bundesgebote. Mittler-
weile hatte aber der Wagneriancr Strauß an Nietzsches Sphäre lange
genug gesogen, um sich an dem Gedanken der Selbstherrlichkeit des
Jndividuums zu berauschen. Während Wagners Helden stets durch
andere Persouen „erlöst"' werden, sagt Strauß energisch: .Hilf dir selbst",
er stcllt dem „Genie der Gemeinsamkeit" das „Genie der Einsamkeit"
entgegcn. Das ist sein gutes Recht, uud wir haben nur mehr zu
frageu, wie's ihm gelungen ist, seiuen Gedanken sinnenfällig zu machen.

Dic jüngst untcr Straußens Leitung veranstaltete Aufführung des
»Guntram" in Prag erlaubt mir, darüber nicht nur als Leser, soudern
als Ohreu- und Augenzcuge zu urteilen. Schon eine Durchsicht des
Textes zeigt, daß dem Werke die Ursprüuglichkeit mangclt. Personcu,
Situationen, Satzfügung, Wortschatz — allcs wagnerisch, allzuwagncrisch.
Es ist dem Dichter auch uicht geglückt, die Haudlung, die Gestaltcn init
warmem Blut und Leben zu erfüllen; die poetischen Gedankengänge
bleiben im Bcgrifflichen stcckcn, ohne ius Sinuliche aufzublühen, und die
pstzchologische Motivicrung versagt an wichtigen Stellen. Sowohl die
„milde Fürstin" und Armenpflcgerin Frcihild, die dcn frcmdcn Sänger,
mit dem sie beim Fest kaum eiu paar Worte gewechselt hat, im Kerker
sogleich mit eiuem Hciratsantrag hcimsucht, wie ihr liebreicher Vater,
der sje au deu Wüterich Nobert vermählt und für diese Profoßennatur
noch hcrzliche Sympnthicu übrig hat — sie kranken an einem innern
Widerspruch. Andere Unwahrscheinlichkeiteu mag mau mit „Dichter-
freiheit" entschuldigcu, abcr um den Fanatismus odcr Btzzantinismus,
der iu „Guntram" Poesie von „selbständigcr Bedeutung" und »Eigenart"
eutdecken mvchte, bencidc ich kcinen. Strauß selbst scheint besser als
seine Ausleger zu ftthlcn, dah cin gewisses Gcschick in der Handhabung
der rhetorischen Elcmente der Sprache noch kcinen Dichter macht. Er
hat dcn Text seincs kürzlich vollendctcn Bühnenwerkes ^Feucrsnot"
nicht mehr selbst geschricbcn.

Jn der musikdramatischcn Mcthode Straußcns Keime des Fortschritts
Zu entdccken, ist mir nicht vergönnt gewcsen. Oder sollte in dcr Ver-
ieugnung alles desscn, was wir aus Wagners Schrifren uud Wcrkcn
als Wcsen des Tondramas kennen, der Fortschritt zu sucheu seiu?
Sei's drum; mich gelüstet's nicht, dcn Merker am Ort nach dcr
Bayreuther Tabulatur zu spieleu. Jch wollre uuter Umständcn selbst
eigentttmliche Schönheiten des Wagncrschen Kunstideals drangeben (wie
wir es selber mit dcm Verlust so manchcr unwicderbringlichen Neize
der alten Opernform crkaufcn mußten), wenn nur zum Ersatz zum
windesten doch der Ausblick auf ein ncucs Jdeal crvffnet würde.
Aber davon ist im „Guntram" nichts zu sindeu. Nur cinige
Mittcl und Maniercn dcs Ausdruckcs hat Strauß von Wagncr über-
nommen: den sgmphonischen Ausbau, die sprachgcmäße Dcklamation,
die farbcnrciche Harmonik, um sic, oft bis zur Tollhcit, auf dic Spitzc
AU treiben. Doch ttber Wagncrs Lchrcn von der Originalitüt des
Schaffens, von musikalischer Jutuition, von dcr Musik als „töneuder
Gebcrde", von der Musik als Versinnlichung dcr inneren und üußeren
dramatischcn Vorgängc, setztc sich dcr jugendliche Stürmcr und Dränger,

z. dlovemberbeft iZoi
 
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