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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 3 (1. Novemberheft 1901)
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Platzhoff, Eduard: Zum Begriff des Genies
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0122

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gegnen. Als ausgeprägte Jndividualisten kann Tnrck sie nicht liebcn,
es wäre indes möglich gewesen, ihnen besser gerecht zu werden. Die
Karikaturen und apologetischen Argumente, die man sich im letzten
Kapitel gefallen lassen musj, sollte man in nnscrn Tagen nicht fttr mög-
lich haltcn. Nicht genug damit, dah der Gegner schivarz angemalt und
auf das Unglaublichste entstellt wird, Türck verspottct ihn auch noch mit
geschmacklosen Verdrehungen und Witzen, die ich albcrn nennen mnß.
Dieser Teit des Buches ist völlig verunglttckt nnd gcradezu peinlich
zu lesen.

Man fragt sich, nach wclchcm Prinzip die Auswahl der Beispiele
getroffen wurde. Manfrcd und Spinoza eignen sich schlecht dazu. Anderc
richtige Theoretiker des Genies, wie Carlyle nnd Emersou, fehlen, von
vielen nüherliegenden Beispiclen ans dcr Kunst- und Literaturgeschichte
ganz zu geschweigcn. Es ist anzunehmen, daß sie wegblicben, wcil sie
der Theoric des Verfassers sich nicht einsiigen wollteu. Das bewcist viel
gegcn die Theorie und nichts gegcn das Genie.

Nun noch einige Bemerkungen, nicht ttber das von Tiirck Behan-
delte, sondern iiber seine Schriften als solche, — Bcmcrkungen, die vicl-
leicht geradc im Kunstwart am Platze sind.

Vornehmheit der Gesinnung zeigt sich vielleicht ain meisten in der
Polemik, denn hier ist sie auf die hürteste Probe gestellt. Tiirck nuu be-
handelt in seinem Buche nicht nur die „Antisophen" sehr schlecht, soudern
er schleudert auch seinen Bann gegen alle die bornierten und oberfläch-
lichcn Köpfe, die nicht sciner Meinung sind. Wir meinen nun, was be-
kanntlich nicht ganz Wenige meinen: die Wahrheit siegt durch Argumente,
aber nicht durch Schimpfen, und auch nicht durch Reklame. Es ist höchst
unerfreulich, den Türckschen Büchern seitenlange Belobigungcn seiner
Werkc angehängt zu seheu, die man nach dcr Art ihrer Zusammenstellnng
nicht als vom Verleger ausgehend ansehn kann. Wenig fein finden wir
auch die Art, sich nicht nur fortwühreud selbst zu ziticren, sondcrn auch
seitenlange Auszüge aus früheren cigencn Wcrken zu machcn. Wer die
lescn will, wird sie sich anschaffen; wer nicht, dcn stößt auch diese Art
von Neklamemacherei ab. Ueber das Verfahrcn endlich, nach Erscheincu
einer .Kritik Türckscher Büchcr scitenlangc Widcrlegungeu dieser Kritiken
in Zcitschriften zu veröffentlichen, überlasse ich das Urteil dem Leser.

Ein letzter, unangenehmer Punkt, der berührt werden muß: die
Prioritätsfrage. Mehrmals wird uns versichert, daß dieser und jener
Gedanke schon längst in Herrn Türcks Kopfe fertig war, als das Buch
des Herrn Z: und I ihm zu Gesichte kam, das verwandte Themen an-
schlage. Türck hat ja mit einem großen Prioritütsstreit debütiert, nnd
die Ereignisse mögen ihn über Gebühr erbittert haben. Nun aber ist's
wirklich genug der Untersuchuug, welches Huhn jenes Ei ausgcbrtttet
habe. Ein Denker sollte soviel Selbstlosigkeit haben, daß er verwandte
Jdeen mit Freuden begrüßt, auch wenn sie nicht von ihm ausgchn.
Hoffen wir, daß auch Türck es endlich dahin bringe, und, bevor er uns
ein neucs Buch über sein Lieblingsproblcm bescheert — es wird wohl
wieder der Hamlet an der Reihe sein — etwas von dcm Geistc jener
großen Genies auf sich übergehen lasse, die er gcwiß gründlich studiert
hat. Lduard Hlatzhoff.

Klmstwart
 
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