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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1901)
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Avenarius, Ferdinand: Literarische Ratgeber des Kunstwarts für 1902, [9]: Religion
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0274

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ihr Verständnis zu verbauen. Hier handclt es sich vor allcm darum, die
kolossale Fremdheit der Zcit erst einmal zu atmen, die pluinpc Vertraulichkcit,
die uns diesen einsamen und crhabenen Zeugnissen ivunderbarer und hohcr
Geisteszustände gegenüber beigebracht ist, erst cinmal zu zerreißen. Das Alte
Testament steht bei seiner verhältnismäßigen Unbekanntheit immer noch günstig
da. Die Größe der Propheten, die Erhabenheit der Poesie des Hiob und einigcr
Psalmen, die düstere Grübclei des „Predigers", das kvnncn ivir in ihrer Be-
sonderheit nachcmpsinden, nicht so die kühne und verwcgene Paradoxic des
Paulus oder die rcligiöse Tcmperatur der Person Jesu.

Es ist also

so sondcrbar das
klingcn mag — im
Sinne ästhetischcr
Kultur das, ivas
das notwendigste ist:
cine doppelte Ent-
fremdung; einmal in
der Linie, daß die
Probleme und Lös-
ungen jener Men-
schen nicht ohnc wei-
tercs die unsrigen
sind —und garSchul-
kinderprobleme! —
und zwcitens in der
Linie, datz die dort
auftretenden Gestal-
tcn möglichst unge-
eignete Objektc sür
biedermeierische Ver-
traulichkeitcn dar-
stellen.

Für eine solche
Entfremdung kom-
men unter den bis-
hergcnannten bcson-
ders Wellhausen,
Baldenspcrgcr, Gun-
kel in Betracht. Fer-
ner giebt es zwei
Litcraturgeschichtcn
überjencnAusschnitt
derWeltliteratur,für
das «Alte Testa-
ment" von Reutz,
dem Vater der mo-
dcrncn Kritik an die-
sem Teil der Bibel,
von dem also auch
Wellhausen ausge-
'-elbstniißhandlung.

Zcichnung von I. D. Cissarz.
Aus H. Boigts .Untcrstrom- iLcipzig,
Dicdcrichs).

gangen ist, für das
,/Rcuc Tcstamcnt,,
vonJülicher(„Ein-
leitung"), beidc die
Entstehungsgeschichte
der cinzelnen Schrif-
ten und ihrcr Samm-
lung bchandelnd.
Auch die breitange-
legte illustrierte Ge-
schichte Jsracls von
Stade sei ncben
Wellhausen genannt.
Hierher gehürt auch
cin Buch vvn Paul
Rohrba ch,das wäh-
rend der Fertigstcl-
lung dcs Ratgebers
crschienen ist. Ob-
wohl wir crst den
Anfang lesen konn-
tcn, ctwa cin Viertcl,
wagen wir doch un-
bedcnklich, cs für das
diesjährigc Fcst in
die erstc Neihe zu
schicbcn: ein Nitt
durch das Land, um
dcn herum traum-
und visionsweisc dic
alte Gcschichte dcs
Landcs aufstcigt.

Statt dcr an
künstlerischcr Kraft
unübcrtrossciicn Lu-
therschen Nachdich-
tung dcr Bibel eine
dcr mvdcrncii Uebcr-
setzungen zu gc-
brauchcn, halte ich
für eiue üsthctischc

Dagegen ist es zu cmpfehlen, einc die ncuere Forschung
berücksichtigende würtliche Uebersetzung als Erklärung ncben der Lutherschen
zu verwendcn. Nur bei den durch den Schulunterricht gar zu ausgeleicrten
Stellen ist es gut, dic Luthersche Bibel ganz wegzustellcn, so nlso für
fast das ganze Neue Testamcnt. Man nehme die Kautzsch-Weizsückerschc
Uebersetzung, die erfreulicherweisc von allen ästhetischcn Prütensionen absieht,
oder nur den ncutestamentlichen Tcil von Weizsückcr, für das Alte Testnmcnt
aber das Bibelwcrk von Reutz Es bietet nutzcr ciner wörtlichcn Ucbcrsetzung
gut und leicht geschriebene Einführungcn zu den einzelnen Büchern und fort-
laufcnde crklürcnde Aiiincrkungen. Um die Zeitfragen, wclchc das jüdische Volk
damals bewegtcn, sich deutlich werden zu lassen, lese man jeuc jüdische Flug-
schrift, dic in der Form von Visioncn des Prophetcn Esra gegcn Ende dcs

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