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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1901)
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Avenarius, Ferdinand: Überschätzen wir den Gehalt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0294

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heißen?", dürfte er fragen, „das Behagen des alten Hieronymus im Ge-
häus, den gefesteten Mut des christlichen Ritters zwischen den Scheu-
sälen da, die tiefe Stimmung dieser Melancholie, die Jnnigkeit der Rem-
brandtschen Krankenheilung, das alles soll ich lieber gar nicht zu schmecken
bekommen als in einer Wiedergabe, welche „die Technik vcrschleiert" ?
Weil ich den Strich nicht ganz so scharf sehcn kann, wie er da ins
Kupfer geschnitten oder geätzt ist, deshalb ivollt ihr mir das ganze
Werk vorenthalten, falls ich nicht vicl Geld dafür habe? Jst das nicht,
als wenn ich den Goethe nicht lesen dürfte, weil ich mir nur eine
schlechtgedruckte Ausgabe kaufen kann?" Aber dieser Einwand thät' unserm
Gegner unrecht, denn man unterschätzte damit die Bedeutung des Tech-
nischen so gewiß, wie jener das Gewicht des Geistigen unterschätzte.
Nicht mit den von Fremden geschnittenen und gedruckten Lettern im
Buch, höchstens mit der Handschrift des Schaffenden selbst dürfte man
die Technik vergleichen, diese Handschrift aber gibt, das wissen wir ja,
in der That ein Stück Charakter mit, und das heißt: Seele. Unter-
schätzung der Technik heißt Unterschätzung der Ausdrucksmittel — gerade
wir, die in der Kunst kein Spiel sehen, sondern den ringenden Drang
nach Mitteilung dessen, was sich nicht begrifflich mit Worten, soudern
nur mit Formen und Farben sagen läßt, gerade wir müssen doch wohl
darauf halten, die Kraft und Reinheit dieser Sprache der Phantasie zu pflegeu.

Deshalb ist's, glauben wir, ein großer Segen gemesen, daß die
bildende Kunst der letztcn Jahrzehnte bei all ihren Kämpfen die Technik
vor den Jnhalt gestellt hat. Sinkt die Kraft, diese Sprache zu brauchen,
so sinkt das Vcrmögen, zu sagen, was man lebt und leidet, sinkt die Fühig-
keit, diese Sprache zu verstehen, so sinkt die Aufnahmefähigkeit auch für den
Gehalt — das Schaffen würde über ein Lallcn hin im Vcrstummen,
das Genießen über irrendes Schwcrhören hin in Taubwerdcn uutergchn.
Die Entwicklung der Perspektive, des Kolorismus, in neuester Zeit dcr
Freilichtmalerci warcn so gut wie Dürers Weiterbildung des Holz-
schnitts und Kupferstichs oder wie Nembrandts Entwicklung der Ra-
dierung und Ausbildung des Helldunkels künstlerische Ereiguissc, nicht
nur handwerkliche. Auch die größten Künstler (ich erinnere an Geister
so verschiedener Art wie Menzel hier und Böcklin dort) haben dcr
Technik deshalü die intensivste Beachtung zugewandt. Hören wir eincn
wie Klinger sprechen, so ist's oft, als wäre sie das, was ihn am aller-
meisten interessiert. Sie ist cben seine, sie ist halt aller Künstler aus-
führende Hand. Aber vor der Verwechslung allerdings wollen wir uns
doch hüten, daß die Hand das Herz und der Kopf selber wäre. Dafür,
daß ein Künstler vom eigentlichen Gehalt seiner Arbeit seltener als
voin Handwerk redet, gibt's einen rccht einfachen Grund: er kann nur
vermittelst seines Handwerks, er kann nur durch seineKunst selber
davon reden. Der Gehalt läßt sich eben nur malen, läßt sich nur
bildnerisch formen, das Wort „Bilde, Künstler, rede nicht^ hat den schr
ernsten Sinn, daß das Tiefste und Bestc dcs schauenden Künstlers allcin
durch die Sprache des Kunstwerks gesagt werden kann und daß deshalb
ein rcchter Kerl das Sprechen über den geistigen Gehalt sehr leicht als
ein Geschwätz empfindet.

Nun muß ich gestehen, es scheint mir, als ob dieser Sachverhalt
von vielen unsrer heutigen Kunstgelehrtcn und Kunstschriftsteller nicht
Kunstwart

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