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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1901)
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Bartels, Adolf: Christian Dietrich Grabbe
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0299

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und schwüre — sprccht mir nach: — — So, nun seid ihr fertig. Nun
müßt ihr abcr erst trinken, eher kommt ihr nicht weg. Der K. ist so edel,
der trinkt keinen Rum. — K., nun thun Sie mir den Gefallen, das
einzige Mal!«"

,Ein verrückter Kerl!"' wird das erstc Urteil lauten. Aber das
ist's nicht allein, er spielt den Verrückten, um genial zu er-
scheinen, und es kommt ihm dabei nicht darauf an, einc feierliche
Handlung zu eincr Possczu entweihen. Und gerade so steht's mitseinerPoesie:
auch da überall wüste Renommisterei, genial sein sollende Effekthascherei,
sittlicher Nihilismus. Das geht von seincm ersten Werke, dcm wilden
^Herzog von Gothland" durch bis zu seinem letzten, der .Hermanns-
schlacht". Darunter sieht man denn freilich das echte Talent, das allerdings
meiner Meinung nach so groß nicht war, wie man gemeinhin annimmt, und
auch eine bestimmte subjcktive Wahrheit; denn wer den Verrückten spielt, hat
natürlich eine krankhafte Anlage in sich. Doch gilt hier das Hebbelsche
Wort: ,Jch weiß gar wohl, daß das Unglück manches Menschen schon
vor der Geburt anfängt, und ich habe alles mögliche Mitlcid mit
Jndividuen, die zu viel haben, um resigniercn zu können, oder zu
wenig, um es zu reinen oder auch nur charaktcristischen Bildungen zu
bringcn. Sie kämpscn cinen schwercn Kampf, und man soll sich hüten,
leichtsinnig dcn crstcn Stcin auf sie zu werfen. Aber wenn sie garnicht
versuchen, durch cthische Anstrengungen ein Gleichgewicht herbeizuführen,
verwandcln sie dics ursprüngliche Unglück in eine Schuld, und das scheint mir
bei Grabbe sehr cntschieden der Fall zu sein." Er hat es in der That
nic versucht, das Gleichgewicht zu gewinnen: Ticck erkanntc das Talent
in scinem Erstlingswcrk an, und Jmmermann wollte ihm in Düsseldorf
helfen, abcr es ivar vcrlorene Liebcsmüh — Grabbe that alles, um
sein Leben zu Grundc zu richten, und seine Werke zeigen kaum einen
Fortschritt. Aber über Shakespcre Dummheiten zu Markte bringen und
Dichter fordern, die Shakcspere „überbicten', das konnte er.

Rein ästhctisch gesehen, ist Grabbcs Poesie auf den sogenannten
genialcn Einfall gestellt, und dieser Einfall hat vor allem die Aufgabe,
zu vcrblüffen. Nun hatte er freilich Einfälle in Hülle und Fülle, wenn
auch nicht großc dichtcrische Jntuition, doch einen scharfcn kombinierenden
Verstand, den er namentlich auf dem Felde der Gcschichte bethätigte,
und barockcn Humor. Aber aus Einfällen schafft man kein großes
Drama, dcr kombiniercnde Verstand ergibt kein wahres Lcben, und
der barocke Humor vcrführt leicht zu allerlei Tollheiten. Man prüfe
die Proben, die wir aus seinen Werken geben (sie gehören zu seinem
Besten): Jst da wirklich mächtige, künstlerisch schaffende Gestaltungs-
kraft? Dcr Bcrlincr in dcr Feldlagerszene aus dem .Napolcon" ist
^nicht übel", aber er ist sozusagcn von der Straße aufgelesen;
Blücher aber mißlingt Grabbe, er ist viel zu theatralisch — spontan
Kreuze anzuheften war Napoleons berechnende Art, aber nie die Blüchers.
Man vcrglcichc übrigens nur Otto Ludwigs „Torgauer Haide"' mit
dicsen Grabbcschcn Szcnen, und man wciß, wie ein wahrcr Dichter
derglcichen macht. Jn dem.Prusias'-Fragment ist gleichfalls alles auf
dic Spitze gcstellt, dcr König cinfach cinc Karrikatur, allerdings einc
famose, vor der dic Simplizissimus-Leute Respekt haben können. Abcr
cin andcrcs ist es, Zerrbildcr sür ein Witzblatt, cin andercs, Tragödien

2. Dezcmbcrheft
 
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