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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 5 (1. Dezemberheft 1901)
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Göhler, Georg: Sprechsaal: Dichter und Komponist: (in Sachen "August Püringers")
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0306

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ponist hat oft niirklich z. B. eine „bessere", d. i. musikalisch eindringlichere De-
klamation gewählt als dcr — doch nicht „musikalische" — Dichter; oder es
handelt sich um die geringfügige Umstcllung einer Partikel, welche aber durch
die melodische Deklamation bedingt wurde und dgl. — lvenn derartige Va-
rianten den Sinn des Originales oder dessen Stimmung nicht entstcllen odcr
direkt verändern — wer könnte von „Pietätlosigkeit" sprechen? — Daß es nun
dem Komponisten bei seiner Bemühung der musikalischen Durchdringung eineS
Gedichtes passieren kann, auf diese oder jene Strophe zu stotzen, welche
in der Einheitlichkeit der Stimmung ihm eine Störung zu bringen scheint, und
die er dann ehrlicherweise u n kornponicrt läßt, ist msines Erachtens so lange
möglich, als auch die herrlichsten und bedeutendsten Liedertexte noch von rein-
litcrarischen, d. h. nicht musikalisch wissenden „Sängern" (Dichtern) stammen,
deren sehr uneigentliche „Leier" anch in dcn erhabensten Gefühlsräuschen doch
hauptsächlich auf den Halbton dcr Gedankenäutzerung gestimmt war und
ist, welcher das reine Gefühlsbild, welches die Dichter zu bannen vcrlangen,
nur zu leicht verwirrend und aufhaltend bestimmen kann! Hier ist dann der
nachfühlende Komponist, der absolute Gefühlskünstler, entschieden dcr hellere
Seher, der sich (ich durfte das eingangs dieser Zeilen an berühmten Beispielen
feststellen) in solchen Fällen nie das Recht der Entscheidung nehmen lietz, nur
das von einem Gedichte zu vertonen, was ihn mit dem Zauber einer ein-
heitlichen Gefühlsstimmung berührtc und bannte!

Diesen Standpunkt des im Gedicht sehnsuchtsvoll nachempfindenden
Musikers eindringlich crwägend, dürfte Herr vr. Göhler, um nun auf meine
Wenigkeit zu sprechen zu kommen, mich (abgesehen von einem nachweisbaren
Drucksehler: „dich" statt „sich" (Gocthes „Freibeuter") nur eines Nach-
läsjigkeitsdeliktes schuldig finden: in Goethes „An den Mond" heißt
es von diesem: „breitest lindcrnd deinen Blick"; bei mir steht: „brcitest
liebend deinen Blick" — gewiß ein Vergehen; aber — „war es so schmühlich,
was ich verbrach?" . . . Nun, die Logalität mcines Lkritikers enthcbt mich jeder
Bitterkeit gegen seine seinerzeitigcn allzu scharfcn Bemerkungen.

Hochachtungsvollst

Graz. Aug. Püringer.

Schlutzwort.

Jch brauche den regelmätzigen Kunstwartlescrn nicht zu versichern, datz
meine oben abgcdruckte Erklärung für mich nur die Konstatierung eincr an sich
selbstverständlichen Thatsache bedeutet, nämlich der, datz ich keinerlci Veran-
lassung oder Absicht habe, selbst mit dcr schärfsten Kritik cinen mir sonst günzlich
unbekannten Komponisten persönlich zu beleidigen. Die Rcchtfertigung PüringerS
verlangt jedoch einige sachliche Anmerkungen, da mein Urteil, wenn alles so
wäre, wie der Komponist es darstellt, allerdings zu schroff gewescn wäre. Da
sich dabei allerlei allgemeine Betrachtungen einfügen lassen, vcrliert daS
Ganze gleichzeitig den Charakter einer Privatstreitigkeit, für deren Dar-
stellung und Betrachtung beim Kunstwart das Papier zu wertvoll und die Zeit
der Leser zu kostbar wäre.

Dars ein Komponist an den Gedichten, die cr vcrtont, Aendcrungcn vor-
nehmen? Püringer beruft sich auf grotze Vorbilder, um „Ja" sagcn zu können.
Jch behaupte, es kommt darauf an: „Wer thut's?" und „Mit wcssen Gedichten
thut er's?" Jch habe seinerzeit in dem in Frage kommcnden Aiifsnhe gesagt,
selbst wenn Mendelssohn und Schumann Heine entstelltcn, so ist daS ein
„Unfug" gewesen, und halte das aufrecht, selbst auf die Gefahr hin, „Ton-

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