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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1902)
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Schultze-Naumburg, Paul: Der "Sezessionsstil"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0357

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anschauung, so lange sie es zu achtbaren Leistungen brächte, in ihren
Ausstellungen Aufnahme finden werde. Thatsächlich ist man davon nicht
abgewichen. Das schon vor Jahren geprägte Wort „sezessionisstsche Malerei"
deckte in sofcrn keinen Begriff, als die gemeinten Auswüchse der mo-
dernen Malerei: die Versuche, durch innerlich unbegründete Absonder-
lichkeiten auszufallen, am wenigsten in den Räumen der Sezession zu
finden waren. Trotzdem bildete sich im Publikum das Wort von der
fezessionistischen Malerei immer weiter aus, und dicser Popanz wird auch
heute noch von ganz verständigen Leuten an die Wand gemalt.

Ohne tieferen Zusammenhang mit dieser Sezession, sofern man
nicht den frischen Hauch erneuten Kunstlebens überhaupt damit in Ver-
bindung bringen will, bildete sich in den Jahren sZstö/st? eine Gruppe
von Künstlern, deren Ziel es war, das stagnierende Kunstgewerbe und
die vcrkommene Schablonen-Fabrikarbeit, die sich ebenfalls mit dem
Namen „Kunstgewerbe" brüstete, von Grund aus zu reformieren. Die
Ausstellungen fanden nicht einmal in den Räumen der Sezession statt.
Die meisten Sezessionen haben sich sogar grundsätzlich nicht mit Kunst-
gewerbe bcfaßt und wiesen Vorschläge zu Veranstaltungen von Kunst-
gewerbeausstellungen ab. Die Reformbestrebungcn auf dem Gebiete der
angewandten Kunst machten ihre Fortschritte auf ganz anderem Boden,
der im wesentlichen von Geschäftcn, Gesellschasten und Handlungen ge-
bildct wurde. Die geistigen Urheber dieser Bewegung gaben sich und
ihren Arbeiten auch keine besondcren Namen, da diese Vernünftigen
durchaus einsahen, daß die Unterscheidungsmerkmale sich lediglich
durch „gut" und „schlecht" kennzeichnen, die neuen Formen aber,
die man zum Teil brachte, sich unter keinen Sammelnamen bringen ließen.

Ach, als aber die Geschäftswelt sah, daß da etwas Neues entständc, er-
kannte sic sofort darin eine günstige Gelegenheit, ihrem Publikum mit einer
„letzten Nouveautck" zu dienen. Man fing sofort mit Hast an, das
Aeußerlichc dieser neuen Sachen schlecht zu imitieren, dieser Gegenstände,
deren Lcbenssinn der Kampf gegen die Jmitation war; man ahmte
alles nach, ahmte es nach bis auf die zur unverstandencn Phrase ge-
wordenen „Echtheit des Materials" und den „Ausdruck durch die Kon-
struktion".

Nun kann man nicht leugnen, daß die Produkte dieser durch Ge-
schüftssinn entstandenen Fabrikation zunächst immer noch ein Teil besser
waren als die, welche man bisher fabriziert hatte. Aber das dauerte
nicht lange: die „Nouveautä" mußte wiederum durch eine „lctzte Nou-
veautck" ersctzt werden, und je weiter die Welle reichte, je dummer und
schlechter wurde die Ware, die sich als „Sezessionskunst" darauf schau-
kelte. „Sezessionskunst" nümlich taufte man wunderlicherweise dieses so-
genannte Kunstgewerbe.

Und heute? Heute sind wir nun glücklich so weit, daß jeder
Galanteriewarenhändler, Tischler oder Tapezierer aus der Provinz seinen
„Sezessionsstil" fix und fertig auf Lager hält. Es faßt einen ein Schauer
vor dem Verhängnis, das heute auf dem alles verwässernden Geiste dcs
Geschäftsbctriebes zu ruhen scheint. Jeder Anstoß, jede neue Jdee wird
mit Hast ergriffen und mit Blitzesschnelle — mißverstanden.

Jch bin heute in der Lage, einige Beispiele aus der Brutstütte des
„Sezessionsstils" vorzuführen und sie mit ein paar alten oder neuen

:. Iauuarbcft tdve

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