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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 7 (1. Januarheft 1902)
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Schultze-Naumburg, Paul: Der "Sezessionsstil"
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0359

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feine Logik des Aufbaus, die stolze Bescheidenheit der einzeluen Form
und die sichere Würde des Gesamteindrucks festlegen und auf der andern
Seite eine durch unsinnigen Aufputz erhöhte uuwürdige Haltung, ein
Viel Lärm um Nichts konstatieren.

Leider ist diese „Sezessions"-Schundware durch die Eugros-Her-
stelluug in Fabriken bereits so über das ganze Land verbreitet, daß sie
den Ruf der mahren modernen Kunstgeiverbler vollkommen verdirbt,
deren echte Werke natürlich viel seltencr zu seheu sind. Als Beispiel
konfrontiereu ivir ein schlichtes Sofa von Pankok (Abb. ä) mit einem
eleganten im „Neuen Stil" (Abb. 6). Wer einigermaßen mit dem
Werdegang unsrer ncueren dekorativen Kunst verrraut ist, dcn wird es
schütteln, ivieviel gute Ansätze, hübsche dekorative Einfälle und Formen
er hier auf Nr. 6 iu dcr fast bis zur Unkenntlichkeit reichenden Ver-
unstaltung, in der kopflosesten Weise zusammengehüust, findet. Doch
solches Machwerk verdient es nicht, darauf hiu noch analpsiert zu werden.
Jedes unbefangene Auge sagt es ja sofort, mo da Würde und wo

Gemeinheit herrscht.

Recht interessant ist auch der Vergleich zwischen einem alten und
einem neuen Geländer, Abb. 7 nnd 8. Hier bei Abb. 8 hat van de
Velde anschcineud das Nnglück angerichtet, in dem unteren Teile

wenigstens findet man eine Karikatur seiner Formen wieder. Man mag
aber über van de Velde denkeu, wie man will — jedenfalls ist er ein
um die Wahrheit ringender Künstler, dem's Ernst um seine Sache ist.

Die ctwas willkürliche Art, mit der er oft das Holz bchandelt, als

sei es Hartgummi, und seine sonderbaren fremden, sreudlosen Formen,
zu denen wir selten ein Herzensverhältnis gewinnen können, sind nun hier
mit anderen zusammengestohlen. Wie schwächlich, erkünstelt uud ohne
jeden einhcitlichen Nusdruck erscheint solcher „Fortschritt", wenn man
daneben ein altes Treppengeländer mit simpelsten Formen betrachtet,
wie man es noch häufig iu altcn Bürgerhäusern sindet. Wie anmutig
hier die lcicht gewellten Hölzer die Steifhcit der architcktonischen Linien
beleben! Und solche Formen, will man uns belehren, sind also ver-
braucht, habeu für uuser Scin uicht mchr den geringsten Ausdruck und
gehören einer toten, längst vergessencn Zeit an? Jch habe es zu oft gesagt,
um mich hier nochmals von dem Verdacht reinigen zu müssen, neue
Formen seien überflüssig oder gar unmöglich. Nur werden sie allein
aus den bereits erworbenen Formen hervorwachsen können, und diese
Formen müssen erst mieder unser Eigentum werden. Dann werdcn deu
Künstlern da, wo es not thut, ueue Formen ganz von selbst einfallen.
Thun sie das — gut, so werden sie auch lebensfühig sein. Sie lassen
sich aber nicht bestellen, indcm der Chef seincm ersten Musterzeichner den
Auftrag dazu gibt. Dic Erkenntnis, die wiedergewonncu werdeu muß,
liegt auf einem ganz anderen Gebict: auf dem der Menschcnwürde, der
Wahrhaftigkeit und der Fähigkcit, diese guten Mächte mit dem Auge im
Ausdruck der Dinge zu erkenueu.

Jmmerhin, unsre heutige Betrachtung braucht uns an sich noch
nicht trübe zu stimmcn. Ein Stcin fiel in die stagnierenden Gewässer
des Kunstgewerbes. Einc kreisförmige Welle schlug auf, viele konzen-
trische Kreise ziehend. Abcr je weiter sie sich vom Mittelpunkte entfernte,
desto schwächer werden die Ringe. Es bcdarf halt noch weiterer Stcine

I. Ianuarheft t902
 
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