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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 7 (1. Januarheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0362

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und Welt und Leben lagen noch in dickc blaue Nebel versunken. Vor drei
Jahren, in seinem zweiten Werk „Die drei Getreue n", hatte der Dichter
bercits festes Land unter die Fiiße bekommen, nicht ganz festes, mehr wio eine
Jnsel im Watt, es zogcn noch allerlci phantastische Nebelgestalten hinüber und
herüber, aber sie waren doch schon Gestalten geworden und licßen zwischen sich
den Boden erkcnnen. Frenssen hat drei Jahre verstreichen lassen, um auf diesem
sicheren Boden sich anzubauen. Er schreitet nun mit einem schwcren Baucrn-
schritt durch die feuchte Marsch, und erst hinter ihm hcr sammelt sich in den
tiefen Spuren das Wasser, in dem sich die Wolken spiegcln, und aus dcm die
Nachtncbel trinken werden.

Viellcicht war es für Frenssen geradezu dic ästhetische Lebensfrage,
wie cr mit dem phantastischen Element in sich fertig werdcn würde. Schon dcr
erste, 1896er Roman wies auf eine Art Lvsung hin. Denn schon damals war
weitaus das Beste im Buch die mgthologische Naturbetrachtung, allcs rein
Visionäre, Märchenhafte. Daß aber dies Element den eigentlichen Gang der
Erzählung zu regeln unternahm, verdarb dem Dichter das Gnnze und vcrdarb
ihm auch die mancherlei psychologischen Feinheitcn, die vorhanden waren, aber
in den Unnatürlichkeiten der Geschichtführung ertranken. Wir Menschcn von
heute sehen nicht mehr so durcheinander. Jn dcn „Drei Getreuen" von ^393
störten noch einige sehr ivunderbare Schicksallinien; abcr es hatte bereits Wasser
und Land sich zu trennen begonnen. Das Phantastische hatte sich in der Natur-
betrachtung gesammelt und begleitete die eigentliche Handlung wie cin stim-
mungansagendes Bcgleitspiel mit der linken Hand. Der neuc Noman „Jörn
Uhl" ist breit in die wirkliche Wirklichkeit hineingebaut, wührend doch übcrall
die Natur, in Gcheimnis und Eigenlcben tief eingetaucht, zu beiden Seiten des
Weges hergeht und ivinkt.

Nur gegen den Schluß hin wird etwas gefabelt. Jndessen dieser Schluß
von der Katastrophe an, die Jörn Uhls Arbeit und 5lnechtschaft vornichtct, stcht
auch sonst nicht mehr auf der Höhe. Sei es, daß dem Dichtor das Jnteresse
ausging, sei es, daß cr keine Zeit mehr zu haben glauüte, kurz, die sonst nicht
sehr spürbnren Schwächen dcs Schriftstellers bcginncn hicr störcnd zn werden.
Der Dialog wird weniger glücklich, allerlci kleinc Mittel, die der Dichter auch
sonst gcbraucht, um ihm Frische zu geben, häufen sich unangenehm. Eine neue
Person wird ganz unmotiviert aus dem frühcren Roman von dcn „Drei Ge-
treuen" herüber geholt und sogar als gutcr nlter Bckannter vorgestellt, der
ohne Wissen und sozusagen hinter dem Nücken des Lesers schon längst mit dem
Heldcn des Buches gut Frcund war. Auch sonst in diesem Roman kommt cs
vor, daß der Schriftstcller der künstlerischcn Jllusion ungünstige literarische
Sonderbeziehungen zwischen sich und dem Leser herzustellen sucht und etwa
Theodor Storm oder die Buren in seine Geschichte vermickclt; aber da nicht so
eingreifend und ausführlich wie hier.

Sonst aber ist die Scheidung vollzogen und die Spannung gelöst, die
den meisten Nicdcrdeutschen im Blute liegt, zumal soweit sie frisch vonr Acker
kommen, die Spannung zwischen einem nüchtcrncn Willen zur Wirklichkeit und
zur Wirkung in ihr und eincm grüblerischcn Versunkensein in das Gehcimnis
und phantasievollen Nachdenken. Jcdes von dem Beiden ist an die ihm besondere
Arbeit geiviesen und cin fruchtbares Schaffen eingeleitet. Es ist sozusagen
organisiert, und so orst hat der phantastische Moment seinen vollen Reiz er-
halten. An den Stellen, wo es durchschlägt, liest man univillkürlich langsamer.

Amistwart
 
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