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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1902)
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Avenarius, Ferdinand: Zur Rede des Kaisers
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0399

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wegen, ein Vormimen von Anempfundenem als Ausdruck dcr besten
Gemütskraft zu nehmen, so wäre die gegenwärtige ästhetische Unkultur
solcher Verbildung sicher noch vorzuziehn. Es sind sittliche Werte, dic
hier in Frage stehn.

Wo das Eingreifen von Monarchen der Kunst zum Segen gewesen
ist, hat cs stets dem Neuen, dem Wcrdenden zum Durchbruch verholfen,
indcm es scinem Geiste den Arm lieh. Jm alten Griechenlaud gab's
ja überhaupt keine Hofkunst, in der Renaissance aber, auf dic sich der
Kaiscr gleichfalls beruft, gab's allerdings eine: die Neucrcr bcschäftigtc
sie, den rücksichtsloscstcn sogar, nicht ^unsern", sondern den echten Michel-
angelo. Jn Weimar saßen die Versasser der literarisch-umstürzlerischen
lrenicn. All solches Mäzenatcntum war nach seinem Charakter der
bevormundcnden preußischen Hoskunstpstege gerade entgegengesetzt: Man
kann bci ein und demselben Fürsten unsrer Zeit sördcrliches und nicht
sörderliches Mäzenatentuin gleichzeitig studieren. Was hat der zwcite
Ludwig von Baycrn durch all seine Schlösserbauten mit ihrcn Ge-
mälden und Statuen dcr Kunst geuützt? Und was allein durch
die Fürderung des einen Kunstrevolutionärs Richard Wagnerl
Bei Kunstwerken ist eben der Künstler dic Hauptperson, nicht der Be-
steller: die neuen Genies zu stnden und dann ihnen Raum zu schaffen,
das macht den Mäzenatenruhm. Daran aber erkennen wir ein künst-
lerisches Genie, daß es zeigt, wo der Mantel dcr Helena für Helena ge-
nommen wird, wo man ein Jdeal zu verehren glaubt und cin Schema
verchrt, und wo, und wär's aus dem Staube hcraus, ncue Jdeale keimen.

Auch heute ist unser Ergebnis das: wir brauchcn eine allgemeinerc
bewußte Unterschcidung zwischen der Hofkunst und der eigentlichen
Kunst. Wo die preußischc Hofkunst als jenc Repräsentations- und dy-
nastische Agitationskunst aufgesaßt wird, dic sie ihrcm Wesen nach ist,
wird sie keinem schaden und manchen erfreuen. Aber sie hat mit jener
Kunst, die das Fühlen und Schauen dcr führenden Geister der Nation
mitzuteilcn strebt und dadurch den Ausrausch und die Wciterentwickelung
dieses Fühlens und Schauens bewirkt, nur die äußerlichen Mittel ge-
mein. Soweit unsre Malcr und Bildhauer zu Künstlern im cigent -
lichen Sinne gcrcchnet werdcn wollen, werdcn sie in höherem Maße
als es im Zcitalter der Titcl, Orden, Medaillcn und lukrativcn Deko-
rationsaufträge gcschicht, ihrc Unabhängigkeit wahren müssen, wie schwer
und wie bitter das sein mag. Uns aber, dic wir zum Volke sprechen,
blcibcn zwci Ausgabcn im Vordcrgrund: einer Vermischung von Hofkunst
und cigcntlicher Kunst im Volksbcwußtscin durch Erzichung zum „Lesen-
künncn^ cchter Kunst cntgegcnzuarbciten, und: die Allgemeinheit und
ihre Vertreter immcr wiedcr an die Notwendigkeit zu erinnern, den zu
eigentlicher Kunst Berufenen zum Wohle ebcn der Allgemeinheit selbst
die Arbeit unabhängig zu machen. A.

2. Iannarheft 1902
 
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