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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 8 (2. Januarheft 1902)
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Weber, Leopold: Sprechsaal: letzmals in Sachen d'Annunzios
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0417

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wcnn er nieint, dah ein Jnszenator das Drama vielleicht für die Bühne da-
durch rettcn kvnnte, daß er in freier Bearbeitung durch eine andre psychologische
Wendung den Jrrtum zu korrigieren versuchte! Glaubt der Herr Theatcr-
direktor denn wirklich, schwere ethische und ästhetische Fehler kämen wie
Tintenslecke von auhen ins Werk hinein, daß er sie mit ein paar äußerlichen
Mitteln hinauskorrigieren zu können hofft? Weiß er nicht, daß solche Jrr-
tümer nur die greifbaren Folgerungen des ganzen sinnlich-seelischen Gehalts
sind, der als lebendiges Blut durch alle Adern der Dichtung strömt? Ob der
ethisch und üsthetisch überlegene „Jnszenator' üem mißratenen Dichtwesen den
Schwanz abschneidet oder gar einen Pfauenschweis statt dessen dort befcstigt —
das betreffende Wesen wird im Grunde deswegen doch bleiben, was es war

Gänzlich mißversteht er mich, wenn er die Ausdrucksvorzüge D'Annun-
zios, des Dramatikers, gegen mich dadurch in Schutz zu nehmen meint, daß er
auf den Eindruck hinweist, dcn diese Sprache auf das Publikum seines Theaters
gemacht. Die theatralische Wirksamkeit hab' ich in meinem Artikcl über-
haupt nicht in Betracht gezogen; was darf mich bei einer ästhetisch-kritischen
Untersuchung ferner der Beifall oder das Mißfallen dicses odcr jenes zufälligen
Publikums kümmcrn; ich habe dabei meine Eindrücke nach bestem Gewissen
wiederzugeben und nach bestem Können zu begründen. Sollen wir ein Werk
als dramatische Dichtung, nicht als pathetisches Rednerkunststück an-
erkennen, so muß es seine Leute — ob eng, ob übertragen realistisch — jeden-
falls lcbenscharakteristisch sprechen lassen: gradedas thutD'Annunzio, wie
ich in mcinem Aufsatz auszuführen versucht habe, nicht. Ob die Massen der-
weil von der Schönrednerei berauscht werden oder nicht, hat mit der Beurtei-
lung nicht das Mindeste zu thun.

Daß dem Poeten D'Annunzio „die seelische Entwicklung seiner Charaktere
fehlt", wie sich mein Kritiker ausdrückt, habe ich überhaupt nicht gesagt. Jch habe
gesagt, daß D'Annunzio das Dramatische im höheren Sinne fehle, das sein
Hauptgeivicht auf die seelischc Entwicklung der Charaktere lcgcn würde,
währcnd ihm die Hauptsache das Ausschöpfen der Efsekte bleibe. Hier hat
er aber wieder einmal flüchtig gelesen. Allerdings habe ich und zwar in
dem Aufsatz, den cr mit fast bedingungsloser Zustimmung aufgenommen haben
will, klar zu machen gesucht, daß die „gründliche, zerfasernde" psychologische
Kunst D'Annunzios viel mehr auf Nervensensibilität als auf scelischcm Em-
pfindungsvermögen beruht.

Zum Schluß kann ich mich mit meinem Herrn Gegner wenigstens darin
einverstaiiden erklärcn, daß ich keincn Grund einsche, warum sich unsere Theater
nicht mit D'Annunzio beschäftigcn sollcn. Er bleibt ja, wcnn auch zum größten
Tcil Virtuose, immerhin eine ausgcprägte Erscheinung. Etwas anderes wäre es
sreilich, menn mein Kririker meinte, die Kunst D'Annunzios sollte an den deutschen
Theatern gepflcgt werden. Das wird er, wenn seine fast bedingungslose
Zustimmung zu nieinem früheren Aussatz nur einigen Wert haben soll, kaum
wünschen künnen; denn in dem Schlußsatz dort wird über D'Annunzios ganzcs
Wesen zusaimnenfasieiid gcsagt: „Jst denn die dichterische Begabung D'Annunzios
wirklich so glänzend, sind denn dcr immer wieder gepriesene Wohllaut seiner
Sprache, der Schwnng seines üppigcn Temperaments, seine Phantasiekraft und
scine Sensitivität wirklich so sehr die Hauptsachen, daß sie über die innere
Fäulnis seincs Wcsens, scinc scelische Hohlheil und geistige Flachheit
hinwegtäuschcn könncn?" Freilich spielt er deutlich darauf an, daß er
D'Annunzio für einen halte, der aus seiner Sünde heraus durch Werke dcr

2. Ianuarheft ^902

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