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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 9 (1. Februarheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0446

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„Jugend" freilich scheint nns nicht sv sehr anf dem Gebicte des Wihes zu licgcn,
als darin, daß sie ein großes Publiknm mit außerordentlicher Kräfteentfaltung
an die vorurteilslose Betrachtung des Neuen, des Werdendcn in dcr bil-
denden Kunst gewöhnt hat. Mißverstanden rvird alles, und auch einzelne ivirk-
liche Fehlgriffe im Eifer des Gefechts kann kein billig Denkender austrumpfen
ivollen — die „Jugend" ist unschuldig am „Jugendstil". Wio glnnzendc
Leistungen nun sie auch als Witzblatt gelegcntlich bringt, das zeigcn unsrc
heutigen Beispiele. Jm allgemeinen ist sie allerdings in dieser Beziehung vom
„Simplizissimus" übertroffen ivorden. Der hatte es leichtcr, da er der
nationalen Tendenz der „Jugend" nicht so sehr dic internationalo, als viel-
mehr den Spott über alles entgegenstellte. Mag einom abcr die rücksichts-
lose Satire des Blattes inhaltlich noch so sehr gegen Nerven, Hirn und Herz
gehen, nach der Seitc der künstlerischcn Ausdrucksentivickeluug hat dcr „Sim-
plizissimus" Verdienste, die ihn in dieser Beziehung zum ersten Blatte Dcutsch-
lands, ja, vielleicht der Welt gemacht haben. Es ist eine Thorhcit, das zu
leugnen, es ist einfache Pflicht der Gerechtigkeit, das als Thatsache anzuerkennen.
ob's einem paßt oder nicht.

Wirkliche humoristische Genies sind von den älteren unter dcn Lebenden
unzweifelhaft Busch und Oberländer. Beiden gemeinsam ist die Fähigkcit,
scheinbar mit dem allerkleinsten Kraftaufwande zu wirken, mit einer Mindest-
zahl von simpeln Strichen zu geben, was man gebcn will. Schlagcndo Bei-
spiele dafür sindet man bei Buschs zweitem und bei Obcrländers fünftem
Bilde darin, wie Gesichtcr gezeichnet sind. Jmmerhin gibt Oberlündcr ein
Weniges mehr als Busch, aber nicht, weil cr ein gcringercr Künstler wäre,
sondern einfach, weil er die Schilderung des Gegenständlichen mehr heranzieht.
Oberländer benutzt, vergleichsweise gesprochen, mehr „Lokalfarbe", cr ist iu
höherem Maße Zustandsschilderer als Busch: der tzahnenkamm meines herzens-
guten dressierten Drachen, seine Füße (z. Bild), seine Flügcl, scin Schwanz
bis zum liebevoll geschenen Spitzchcn (fl. und ü. Bild!), dann nbcr auch die
Kochtöpfe und ihre vcrbreiternde Wirkung auf dic Nasenlöchcr, ferncr dic Hüte,
Frisuren u.s.w. sind Dinge, bei denen cr in behaglicher Bctrachtung vcrweilt.
Bei Busch ist all das in weit stürkerem Maße nnr Mittcl zum Zwcck, dcr
nächste Zweck aber ist ihm, in ihrem Wesen scharf crfaßtc Menschen zu bcwegcn.
Die Oberländer so wichtige Freudo „am Objekt", wie der alte Vischcr sagcn
würde, ist Busch Nebensache, soin Hanpt - Ausdrucksmittcl ist die Bewcgung,
die er in ihren charakteristischen Momentcn schnell wie der Blitz crfaßt. Das
aber ist das Erstaunlichste, daß ihm in dicsem dramatischen Wirbcl dic Charak-
teristik seiner Leute nie auf eine Sekunde entfüllt, daß all dics Gczappel viel-
mehr cben der Seelenschilderung in jedem Bilde wiedcr dicnt. Das ist kcin
beliebiger Patient beim Zahnarzt dort, es ist in jedcm Augcnblick der vcrhin-
derte Dichter Balduin Bählamm bei Dr. Schnmrzel, dem Hcitern.

Noch ein dritter bedeutender Bilderhumorist trat als solcher znerst
im Kreise der „Fliegenden" auf: Franz Stuck, der nicht vielc komische Bildcr
gezeichnet hat, aber ein paar ersten Nanges. Was ist sein Bassist vor dcm
Jntendanten für ein Kerl, jede Note cin Quaderstein! Und dazu im Gegensatz
der von der Tönc Macht umgeschmetterte dürre Klavalier! Schadc, daß nns
Stuck dergleichen nur so seltcn schenkt.

Wer sich bei dcu Bilderhumoristcn der „Jugend" und dcs „Simplizissi-
mus" umthut, wird cbcnso übcr die Btannigfaltigkcit ihrcr Behandlungsarten
wie über die Weitc ihrer Stoffkreise erstaunen. Haltcn wir uns an unsre paar
Kunstwart
 
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