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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

DOI Heft:
Heft 10 (2. Februarheft 1902)
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Schumann, Paul: Gurlitts Kunstgeschichte
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0506

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möchtc scheincn, als hätte Gurlitt da das Springcrsche Jdcal sich aufgestellt
(Bilder, Seite 400): „Nicht generalisieren, sondern soweit cs moglich ist, indivi-
dualisieren mutz man, wenn man den Künstlerboden beschreiten und dcn Zu-
sammenhang der künstlerischen Thätigkeit mit der gleichzcitigen Volksbildnng
enthüllen will. An die Stelle des allgemeinen, idealen Bildcs von den welt-
beherrschenden geistigen Mächten müssen zahlreichc nach der Natur ausgeführte
Zeichnungen tretcn, welche darstellcn, wie sich die Phantasiestimmnngen der
auf einander solgenden Künstlcrgeschlechtcr und der verschicdencn, wenn auch
gleichzeitigen, doch auf verschiedene Landschaften und Stümme verteilten
Künstlergruppen vorbcreiten und allmählich entwickeln." Diese Art dcr Stoff-
gliedcrung hat ihre Vortcile und ihre Nachteile. Dcr Hauptvorteil ist
eben, datz der Verfasser nicht in den Fehler des Gcncralisierens vorfüllt, dah er
nicht aus wenigen Gesichtspunkten örtlich und zeitlich zu vicl erklüren will,
daß er vielmehr auf die unendlich mannigfaltigen Wurzcln und Triebe der
Kunst hinweist und damit ein viel reicheres und richtigcrcs Bild von ihr gibt,
als der Kunsthistoriker, der auf cine allgemeine sogenannte kulturgeschichtliche
Einleitung die üblichen Schilderungen dcr vcrschicdenen Künstlerschulen ncbst
Künstlerbiographien folgen lätzt. Der Hauptnachteil besteht in dem Ans-
einanderreißen des Zusammenhanges in zu kurze zeitliche Pcriodcn. So liest
man z. B. über Lionardo da Vincis Jugend auf Seite 76, es folgen dann
zzo andere Kapitel über kirchliche Baukunst, Wohnhausbau, Palazzo Strozzi,
Savonarola und die Rcnaissance, dcn Geist des Mittelalters, die Lehre dcS
Thomas von Aquino u. s. w. u. s. w., bis wir wieder von Lionardo da Vinci,
seincr Weltanschauung und seinen Hauptwerkcn hören, und wicder folgcn
gegcn zoo Kapitelchen, darunter übcr die Reformation, Lvther und Dürcr,
Holbein, Spanicn und Portugal u. s. w. u. s. w., bis wir auf Seite 224 wieder
von Lionardo da Vinci hören.

Gurlitt hat diesen Uebelstand selbst empfiinden und ibm durch Verwcise
abzuhelfen gesucht, so daß man beim^ Wiederaufnehnicii cineS bestimmtcn
Fadens sein vorheriges Verlaufcn finden kann. Freilich, den Mangcl eineS
alphabetischen Registers gleicht das nicht aus: cin solches mütztc vom Ver-
fasserund vom Verleger sorasch wie nur möglich nachgelicfert werden,
um das Buch brauchbarer zu machen und scinen Wert zu stcigcrn. Ein weiterer
Mangel dieser Kunstgeschichce ist dcr geringfügige Bildcrschnmck. Die dreitzig
allerdings gut ausgewählten und gut ausgeführten Bildcr gcnügen in kcincr
Weise, wenn das Buch in weitere Kreise dringen soll. Eigcntlich mützt'es bci
seiner ganzen Anlage so reich illustriert sein, wie dic Kuhnschc Kunstgcschichte,
die leider in dieser Hinsicht noch einzig dastcht. Ohnc Bilder und ohne Negister
kann man Gurlitts Buch nicht Anfängern, sondern nur solchcn Lcscrn cm-
pfehlen, welche die Kunstgeschichte schon gründlich kennen und andercs Bilder-
material vollauf zur Hand haben und nun die Urtcile und die zusammcn-
fassende Darstcllung eincs ManneS wie Gurlitt kcnncii lerncn wollen.

Der hat ein gewaltiges Stück Arbcit in diese Kuustgeschichte gcstcckt, dic
uns von dcn Anfängcn der Sumericr bis auf Thoma und 5tlinger führt, dic
sogar auch Jndicn, China und Iapan, das Tarimbcckcn in dcn Kreis dcr Bc-
trachtung zicht, von Rutzland und der südslawischen Kuiist nicht mindcr rcdct,
wie von armenischer, georgischer, kyprischcr, skandinavischer. Das deutsche
Bauernhaus wird wenigstens eininal gestreift (I, S. z-49), für dic Einordiiiing
seiner Eutwickelung in die Folge fehlt cs ja an chrvnvlogischcn AnhaltS-
punktcn.

Aunstwarr
 
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