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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 15,1.1901-1902

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Heft 11 (1. Märheft 1902)
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Lose Blätter
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https://doi.org/10.11588/diglit.7613#0568

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satzen am grotzen Kachelofen und forderten Glas auf Glas. Jurgeitis* war
oft unter ihncn, trank mit jedem neuen Gaste und sang littauische Schelmen-
lieder oder schimpfte zur Belustigung des rohen Volkes auf die Fischcrci-Auf-
seher, Förster und Wiesenpächter. Zuletzt seiner Sinne kaum noch mächtig,
tanztc cr, mit dem vollen Glase in der Hand, auf der Diclc umher, jauchzte
laut auf, schnitt Grimassen und rief:

„Den Fischmeister soll der Teufel holen, — tralala! Dem Grünbaum
müssen alle Blätter abfallen, — ju-u-ih! Wasser mutz der Kapitün saufen, —
heidi l Jch lass' ihn schwimmen, — schwimmen, —schwimmen mit den Fischen,

— juchhe! Wartet ab, bis das Eis aufgeht, da wird er ans Land kommen,

— hi, hi, hi! juchhe!"

Er ist im Kopf verrückt, hieß es allgemein.

Noch früh am Tage, wenn die Schenke sich geleert hatte, warf Jurgeitis
sich aufs Bett und schlics fest bis Mitternacht. Dann aber stand er auf, rumorte
ohne Licht in der Stube herum, unter seinem Handwerkszeug, schlug den Pelz-
kragen hoch auf und ging hinaus; selbst Else, seine Tochter, wutzte nicht, wohin.
Erst nach Stunden pflegte er zurückzukehren, vor Kälte an allen Gliedern
zitternd. Einmal hatte er sich so verspätet, daß das Morgenlicht schon durch
dis befrorenen Fenstcrscheiben in die Stube dämmerte. Da sah Else, datz er
einc Säge unter seinem Pelz hervorzog und in die ELe stellte. Er gehe in
den Wald nach Holz, dachte sie, und beruhigte sich dabei. Fragen wollte sic
nicht, vm nicht Mitwisserin seiues heimlichen Thuns zu sein.

Er ging aber nicht in den Wald nach Holz, sondern schlich in den dunklen
Nächten quer über dcn Fluß, am Ufergebüsch hin, bis zu des Fischmeisters
Haus. Er ruhte auf Pfählen und stand jctzt wie auf dem Eise. Auf den
Knieen konnte man untcr das Haus kricchen, wenn man das dichte Strauch-
werk zur Seite bog.

Das that Jurgeitis, und dann halb liegcnd, halb kniecnd, setzte cr seine
Süge an den nüchsten Pfahl und machte in der Mitte cinen Krcisschnitt, mög-
lichst ticf in das Holz hinein, immcr mit kurzen Stötzen vordringend. Die
Arbeir ivar schwer und ermüdeud. Wegen des Druckes von obcn satz die Säge
oft fest und konnte nur mühsam wicder in Gang gcbracht werdcn. Jn mancher
Nacht gelang ihm ein einziger Schnitt von rechts oder links. Bei Mondhelle
wagte er sjch überhaupt nicht hinaus. Aber so langsam sich das tolle Werk
forderte, seine Hartnäckigkeit lietz nicht ab davon. Nach Monaten hatte cr auf
diese Weise sämtliche Stützpfähle unter den Nostcn angesägt.

Und noch lustiger klang cs, wenn cr in der Schenke jubelte: „Der Kapitün
mutz Wasssr saufcn, — heidi! Mit seinem ganzen Schiffe mutz er schmimmcn
zum Memeler Tief hinaus, — juchho! — schwimmen mit dcn Fischcn."

Grünbaum hatte einen gesundcn Schlaf; es wcckte ihn sobald nichts auf.
Julie aber, die vielleicht auch zu Zeiten aus cinem besondercn Grunde wachsam
aus jcdes Geräusch drautzen horchte, behauptcte wicderholt, es lasse sich in der
Nacht öfters ein Ton vernehmen, alS ob Jemand Holz sägc.

„Dummss Zeug!" schalt sie der Alte aus. „Jch wünschte, es sägte uns
Einer unser Holz kloin; aber das liegt fest auf dcm Stapcl und rührt sich nicht,
bis ich es selbst heruntcrhole. Das hast du von dciner Muttcr, - die hörtc

Ein heruntcrgekvmmencr Littauer, dcr vom Fischmcister wiederholt
beim vcrbotcncn Fischen u. s. w. ertappt worden ist und in ihm scinen Tod-
fcind sieht.


1. lUärzheft >902
 
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