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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 15 (1. Maiheft 1909)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0216
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Wo er sich darum diesmal be-
müht hat, gibt es wirklich noch
mancherlei zu tun. Den Erdgeist
als reine „Flammenbildung" darzu-
stellen, ist mehr als ein geistreicher
Einfall, ist ein gehorsamer Versuch,
Goethe recht zu verstehen und seiner
vorausfliegenden Phantasiekraft die
nachträgliche technische Erfüllung zu
geben. Anch über die beste, eindring-
lichste Erscheinung des spirituellen
Gegenparts dieses Geistes in der
Domszene lohnt es sich zu streiten.
Reinhardts doppelter oder eigcnt-
lich dreifacher Versuch hat uns
gelehrt, daß es mit bewußter mi-
misch-dramatischer Ausdruckskunst,
wie Adele Sandrocks Böser Geist
sie versuchte, heute nicht mehr
geht, daß die Erfüllung dcr Auf-
gabe vielmehr im Nebellande des
Mhstischen und llnheimlichen liegt
ünd daß uns die Phantasie an
die tzand nehmen muß, sollen wir
folgen. So versuchte es Gertrud
Ehsoldt, entschiedener noch Tilla
Durieux, und ihr Sieg über die
alte Schule war unverkennbar. Die
szenischen Gestaltungen, die Rein-
hardt dem Prolog im Himmel und
(am dritten Abend endlich) der
Walpurgisnacht gab, stammcn aus
Zwei verschiedenen Rcichcn, dic keine
Brücke vcrbindet. Dort äußcrstc
Bemühung der Zuschauerphantasie
— neben Gott Vatcr blieben auch,
gegen Goethes Absicht, die drei
Erzengel unsichtbar und der Him-
wel vertauschte seine strahlende Hei-
terkeit gegen ein drückendes Ur-
weltdunkel —, hier aus dcr wie
ein Karussell in Bewcgung ge°
setzten Drchbühne ein Äbcrmaß an
Elementenlärm und wüstem Hexen-
gedränge, daß nicht bloß die Ge-
ivalt und Schönheit dcr Worte, daß
auch das Abcrirdisch-Gcspcnstige dcr
Gretchen-Erscheinung, mit in den
Bordergrund gerissen, darüber ver-
lorcn ging. Wenn ich den übrigen

Szenenbildern noch ein gemein-
sames Wort gönnen soll, so fürchte
ich, daß ein in technischen Dingen
Erfahrenerer als ich Lob und Tadel
auf die ebenso trätable wie heim-
tückische Drehbühne wälzen wird.
Sie bringt mit ihren verzwickten
Segmenten manchmal, namentlich
überall da, wo es auf Heimelig-
keit und Enge ankommt, höchst
reizvolle Raumgestaltungen zu°
wege, drängt dann aber auch wie-
der Auftritte, die das Dämmer
der Ferne brauchen, aufdringlich
deutlich in den Vordergrund und
zersplittert andre durch unruhige
Zerteilungen. Sie ist ein guter
Diener, wo man sie im Zaume
zu halten vermag, aber ein schlech-
ter Herr, wo man ihr durch allzu
häufjgen schnellen Szenenwcchsel
auf Gnade und Ungnade ausge-
liefert ist.

Das alles aber liegt nur an der
Peripherie der Aufgaben, die der
„Faust" stellt. Er braucht zwei
Schauspielerpersönlichkeiten ersten
Ranges; wer über die nicht ver-
fügt, sollte die Hand davon lassen.
Fehlen sie, so müssen alle Be°
strebungen, an den Umrissen der
Gestalten neue Nuancen anzubrin-
gen, seien sie noch so ehrlich, lei-
denschaftlich oder geistvoll, um so
Peinlicher berühren. Ein un-
deutscher Faust wie der von Ale-
xander Moissi ist und bleibt un-
erträglich, auch wenn das dunkle
Alchimistenfeuer, das in ssinen
ersten Monologen glüht, noch weit
glutvoller, brennender und ver-
zehrender loderte. Dieses knaben-
hafte Erstaunen eines in die Welt
Hineinhorchenden muß fundament-
stürzend wirken, wenn man sich
durch solche Neuerungssucht eines
exaltierten und verwöhnten Ehr-
geizes nicht seine Gefühle vcr-
wirren läßt. Beregis Faust ist
völlig undiskutierbar. Er schwankt
 
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