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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 17 (1. Juniheft 1909)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0353
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volle Einflüsse von der der Inder
erfahren, meist unbewußte. Unsre
Volksunterhaltungsliteratur, Mär-
chen, Volksbücher, Anekdotcn haben
sehr starke Anregungen von dort
her empfangen. Nicht zuletzt unser
Religionentum. Einer der einfluß-
reichsten mittelalterlichen Erbau-
ungsromane, der von Barlaam
und Iosaphat, ist direkt buddhisti-
schen Ursprungs. Und die An-
schauung, daß dic Vorgcschichte des
Christentums, zumal dcr so wich-
tigen mönchischen und aszetischen
Ideale, dazu vielleicht auch der
mhstischen Stimmungen, eher dort-
hin als ins alte Israel zeigt, läßt
sich auch nicht kurzerhand abweisen.

Auf jeden Fall sind die Ein-
flüsse seit Schopenhauer unmeß-
bar stark geworden. Man soll
sie möglichst aus den Quellen oder
doch unbefangenen Wiedergaben
statt aus Strcitschriftcn zu ge°
nießen suchen. Vei Piper in
München ist ein erster Band
Neden Buddhas erschienen, sehr
gut übersetzt, mit unangenchmen An-
merkungen. Der sich dem mono-
tonen Wcllenschlag dieser unend-
lich sich wiederholenden Auslas-
sungen zu überliefern die Geduld
hat, wird zuletzt auch hinter den
cigentümlichcn Wert kommen.

In anderer Richtung hat der
englische und amerikanische Prote-
stantismus sich so eigentümlich und
von dem unsrigen verschieden ent-
wickelt, daß man auch nach dieser
Seite hin besser tut, aufzumerken
und zu verstehen als dumm zu
spotten, was besonders in Hinsicht
auf das amerikanische Ehristentum
ein Hauptsport unsrer Zeitungen
geworden ist. Wir fühlen uns
so überlegen, wenn wir diese Räu-
bergeschichten anhören, die uns über
das Treiben der Sektenkirchen vor-
gesetzt werden. Und der liberale
Bürger bemerkt gar nicht, wie

sehr er seine eigene Lieblingsthese
verdächtigt, indem er diese Kuriosi-
täten mit der eigentlichen Sache
verwechselt, während sie doch nnr
die selbstverständliche Nebenfolge
der Freigabe des religiösen Ge-
meinschaftslebens an den schran-
kenlosen Wettbewerb sind. Man
könnte lieber die Energie, die Opfer-
freudigkeit, die Selbständigkeit, die
Entfaltungsfreiheit dieses Religio-
nentums bewundern.

Vor allem aber zweierlei, worin
die Angelsachsen unsre unbedingten
Meister sind. Für sie hat die
Neligion anfgehört, eine institu-
tionsmäßig festgeschraubte Merk-
würdigkeit zu sein. Sie ist ein
Stück Leben geworden. Nnd das
Studium richtet sich nicht sowohl
darauf, die Außernngen ihres
Selbstbewußtseins als eine letzte
und allgcmcinste Philosophie ver-
ständlich zu machen, als viclmehr
darauf, sie im Zusammenhang
eincrseits mit der ganzen Weltent-
wicklung zu begrcifen, andrerseits
ihre Ligenart psychologisch zu er-
gründen.

Ein Buch, wie des Amerikaners
Iames „Die religiöse Er-
fahrung in ihrer Mannig-
faltigkeit" (deutsch von Wobber-
min, Leipzig, Hinrichs) tut keinen
Schritt vorwärts, ohne sich auf kri-
tisch ausgesonderte wirkliche subjek-
tive Bckcnntnisse zu stützen. Man
bekommt wirklich einen Eindruck
davon, worum es sich tatsächlich,
das heißt psychologisch in der Re-
ligion handelt. Und die etwa
möglichen Schlußfolgeruigen aus
dem pshchologischen Tatbestand
werden mit Vorsicht und Zurück-
haltung angedeutct. Besondcrs an-
genehm bcrührt es, daß jenes
dumme Lacheu über auffällige Er°
scheinungen auf religiösem Gebict
hicr restlos einem würdigcn und
eindringlichen Zuverstchensuchen ge-

^ 286 Kunstwart XXII, l?
 
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