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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 22,3.1909

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Heft 18 (2. Juniheft 1909)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.8816#0440
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Hvcks Kinderlieder- und Märchen-
^-dichter hat Adolf Holst sich
günstig eingeführt. Seine erste
Gedichtsammlung „Sternschnuppen",
von Karl Busse herausgegeben,
blieb nicht unbeachtet, ohne jedoch
eine nachhaltige Wirkung in die
Breite zu erreichen. Nun kommt
Holsts zweite Sammlung und gibt
Kunde von einem schon gereiftern
Dichter.

Ein geborener Lyriker im engern
Sinn ist er nicht. Das objektiv
hinausgestellte Bild, dessen Ein-
hcit die durchlebte oder sclbständig
gcfundene und ungemischt erhal-
tene Stimmung bleibt, findet man
selten bei ihm. Er ist im Grunde
rednerisch-denkerisch angelegt, sprach-
künstlerisch unternehmcnd. Doch
fehlt es dabei kcincswegs an Emp-
findung. Durch die Wärme seiner
Beredsamkeit, dcn Takt seincr
Sprachkunst vermag er immer dich-
terisch und im weitern Sinne
lhrisch zu wirken, nicht scltcn auch
der engern, der „lhrischen Lhrik"
nah Verwandtes zu geben. Selten
allerdings so nah Verwandtes, wie
in dem folgenden Gedicht aus dem
Abschnitt „Bronnen der Liebe", das
nur ein ganz leiscs Zuviel an
bewußter Formgewandtheit durch-
spüren läßt:

„Du meiner Iugend süßer Schein
Ruhst längst in kühler Erde;

Es wandern um dein HLuselein

Der Hirt und seine Hcrde,

Als müßte das so sein.

Am Kreuze lehnt der Weidenstab,
Umsummt von tauscnd Bienen;

Die Lämmlein stehn auf deinem Grab
In Ros und Rosmarinen

Und weiden auf und ab.

Es müssen wohl die Engelein

Dich noch vicl lieber haben,

Daß sie der Herzgeliebten mein

So früh das Grab gegraben,

Als müßtc das so sein."

„Mit Wolken und Winden"
macht mit einer Persönlichkeit und
mit einem Talent bekannt, wo°
bei das Lalent stärker hervortritt
als die Persönlichkeit.

Nicht daß Holst in einem be-
denklichen Grade abhängig wäre.

Es prägt sich nur aus seiner
Sammlung kein einheitlicher, ele-
mentarer Lon dem Lauschenden
ein; und manchmal kommen
Klänge, dic ohne Dehmel, ohne
Falkes Schalkhaftigkeit, ohne die
ganze Vorarbeit der Modernen
schwerlich erklungen wären. Des-
halb soll Adolf Holst nicht als
„Formtalent" eingeordnet und ab°
getan werden. Es spricht genug
Kraft aus seinen flotten Nhhthmen
und Neimen, um auf eine wcitere
Entwicklung, ein Erstarken der
Persönlichkeit hoffen zu lassen —
mag auch die eigentliche Ernte nach-
mals nicht auf lyrischem Felde
reifen. W. Rath

„Ein tschechisches Dienst-
nrädchen"

(7>en „kleinen Noman" (mehr im
^Sinne des Lebens als der
Kunst; denn der „kleine Noman" ist
cine nicht ganz ausgebildete No-
velle!) von Max Brod „Ein tsche-
chisches Dienstmädchen" (bei Axel
Iuncker in Stuttgart) liest man mit
ganz ungeteiltem und ungestörtem
Vergnügen. In leicht spöttischem
Humor ist die ausgezeichnete Wirk-
lichkeitsbeobachtung lcbendige Kunst
geworden. Und wcnn auch die gei-
stige Sphäre dieser Erzählung zwei-
fellos nicht weit ist, so erzeugt sie
doch nie das bedrückende Gefühl
jedes naturalistischcn Ausschnittes
aus dem Leben der Enge, weil
die befreite Heiterkeit des Autors
stärker ist als sein Stoff und ihn
überwindet, ihn entkörpert. Novelle
ist in dem kleinen Werke: daß ein
ganz lebensabgewandter, nur in Ge-

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