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Heft 1 (1. Oktoberheft 1909)
DOI Artikel:Lose Blätter
DOI Seite / Zitierlink: https://doi.org/10.11588/diglit.8818#0040
vollcnds aus dcr Llus hervorkommt? seitabwärts in den Gau? oder
herwärts nach der Friedlismühle? Atemlos verfolgten ihre Blicke jede
Bewegung dcs Pferdes. Ietzt ist er an der Kreuzung, nun wird sich's
cntscheiden. „Er kommt." „Nein, er biegt ab." O weh! verloren! cr
reitet nach dem Gau.
„Nach!" schric Hansli.
^Nach!" bestätigte Gerold stöhnend.
And wie hungrige Wölfe sctzten sie sich in Galopp, unbekümmert um
die abmahnenden Rufe, die hinter ihnen drein liefen, um sie zurück-
zuholen. Dcr Dragoner trabte scheinbar ganz langsam; trotzdem ver-
größcrte sich stetig der Zwischenraum, statt sich zu vcrriugern, und schon
begann ihnen der Atem auszugchen. Allein es gibt hierzulande Wirts-
häuser am Wcge; nicht unmöglich, daß er irgendwo absteigt und ein--
kehrt. Dann ist aber auch dcr Galopp nicht nötig, der Trab tut's auch;
also gingen sie in Trab über; uud der förderte sie beinahe ebenso flink;
abgesehen davon, daß er den Atem wcniger in Anspruch nahm. Immer
kleiner wurde der fliehende Reiter; nur noch wie cin rotes Schäfchcn
lcuchtete er von Zeit zn Zeit zwischen den Bäumcn auf. Aber täusch
ich mich? Mir scheint, das Schäfchen bleibt gleich groß und behält
beständig ein nämliches Häuschen neben sich. „Er sitzt nicht mehr auf
dem Pferde", meldcte der scharfsichtige Hansli. Folglich war er ab°
gestiegen, und das Häuschen mußte eine Schenke sein. Also fielen sie
mit neugestärktem Mute wieder in Galopp.
Er saß wirklich in der Schenke, der Ersehnte, man konnte seinen
Raupenhelm durchs Fenster erblicken; und sein Pferd stand an einem
Pfosten angcbunden vor dcr Tür. Nun begannen sie die Liebeswerbung,
nicht ohne Zuversicht und Selbstbewußtsein. Sie waren ja doch nicht
die crstcn besten Bnben, sondern Kadetten, sie trugcn Uniform mit
goldencn Knöpfen, Gerold sogar mit Granaten auf den Knöpfen, sie
konntcn einen Säbel und eine Patrontasche vorweisen, sie durften
sich mithin ein wenig als seine Kamcradcn bctrachten; gcwiß wird er
ihncn einen freundlichen Gruß, viclleicht gar, o Wonne, ein holdes
Wort gönnen. Es galt bloß, sich ihm bemerkbar zn machen. Darum
stolzierten sie in militärischer Haltung vor dem Fenster auf und ab,
warfen sich in die Brust, hüstelten, sängelten, streckten sich auf den
Iehen. „Zeig deinen Säbcl," riet Hansli, „vielleicht macht das Ein-
druck." Also zog Gerold dcn Säbel und salutierte damit vor dcm
Fenster. Als auch das nichts fruchtete, kletterte Hansli am Sims in
die Höhe, um den schwarzcn Roßhaarschweif auf seinem Tschakko wirken
zn lassen.
Ietzt kroch cine mürrische Alte, verdrosscn wie das Regenwetter, aus
der Haustür. Was sie wolltcn, fuhr sie die Buben unwirsch an, mit
mißtrauischer Micne.
„Nichts; nur den Dragoncr ansehen", antwortetc Hansli kleinlaut.
„So kommt chrlich und rechtschaffen in die Stube," bellte sie, „und
trinkt einen Schoppen Wein, wie sich's gehört, aber nicht wie die Bettler
vor dem Wirtshaus herumstreichen ohne emzukehrcn."
„Wir trinken keinen Wein."
„Dann schcrt euch vom Fenster weg!" und vcrschwand mit einem Blick
des Hasses und der Verachtung.
26 Kunstwart XXIII, l
herwärts nach der Friedlismühle? Atemlos verfolgten ihre Blicke jede
Bewegung dcs Pferdes. Ietzt ist er an der Kreuzung, nun wird sich's
cntscheiden. „Er kommt." „Nein, er biegt ab." O weh! verloren! cr
reitet nach dem Gau.
„Nach!" schric Hansli.
^Nach!" bestätigte Gerold stöhnend.
And wie hungrige Wölfe sctzten sie sich in Galopp, unbekümmert um
die abmahnenden Rufe, die hinter ihnen drein liefen, um sie zurück-
zuholen. Dcr Dragoner trabte scheinbar ganz langsam; trotzdem ver-
größcrte sich stetig der Zwischenraum, statt sich zu vcrriugern, und schon
begann ihnen der Atem auszugchen. Allein es gibt hierzulande Wirts-
häuser am Wcge; nicht unmöglich, daß er irgendwo absteigt und ein--
kehrt. Dann ist aber auch dcr Galopp nicht nötig, der Trab tut's auch;
also gingen sie in Trab über; uud der förderte sie beinahe ebenso flink;
abgesehen davon, daß er den Atem wcniger in Anspruch nahm. Immer
kleiner wurde der fliehende Reiter; nur noch wie cin rotes Schäfchcn
lcuchtete er von Zeit zn Zeit zwischen den Bäumcn auf. Aber täusch
ich mich? Mir scheint, das Schäfchen bleibt gleich groß und behält
beständig ein nämliches Häuschen neben sich. „Er sitzt nicht mehr auf
dem Pferde", meldcte der scharfsichtige Hansli. Folglich war er ab°
gestiegen, und das Häuschen mußte eine Schenke sein. Also fielen sie
mit neugestärktem Mute wieder in Galopp.
Er saß wirklich in der Schenke, der Ersehnte, man konnte seinen
Raupenhelm durchs Fenster erblicken; und sein Pferd stand an einem
Pfosten angcbunden vor dcr Tür. Nun begannen sie die Liebeswerbung,
nicht ohne Zuversicht und Selbstbewußtsein. Sie waren ja doch nicht
die crstcn besten Bnben, sondern Kadetten, sie trugcn Uniform mit
goldencn Knöpfen, Gerold sogar mit Granaten auf den Knöpfen, sie
konntcn einen Säbel und eine Patrontasche vorweisen, sie durften
sich mithin ein wenig als seine Kamcradcn bctrachten; gcwiß wird er
ihncn einen freundlichen Gruß, viclleicht gar, o Wonne, ein holdes
Wort gönnen. Es galt bloß, sich ihm bemerkbar zn machen. Darum
stolzierten sie in militärischer Haltung vor dem Fenster auf und ab,
warfen sich in die Brust, hüstelten, sängelten, streckten sich auf den
Iehen. „Zeig deinen Säbcl," riet Hansli, „vielleicht macht das Ein-
druck." Also zog Gerold dcn Säbel und salutierte damit vor dcm
Fenster. Als auch das nichts fruchtete, kletterte Hansli am Sims in
die Höhe, um den schwarzcn Roßhaarschweif auf seinem Tschakko wirken
zn lassen.
Ietzt kroch cine mürrische Alte, verdrosscn wie das Regenwetter, aus
der Haustür. Was sie wolltcn, fuhr sie die Buben unwirsch an, mit
mißtrauischer Micne.
„Nichts; nur den Dragoncr ansehen", antwortetc Hansli kleinlaut.
„So kommt chrlich und rechtschaffen in die Stube," bellte sie, „und
trinkt einen Schoppen Wein, wie sich's gehört, aber nicht wie die Bettler
vor dem Wirtshaus herumstreichen ohne emzukehrcn."
„Wir trinken keinen Wein."
„Dann schcrt euch vom Fenster weg!" und vcrschwand mit einem Blick
des Hasses und der Verachtung.
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