drehtes Geschlecht so etwas schlucken
kann. Man denke doch: die Toch-
ter eines regierenden Fürsten! und
mit ihrem Herzen einem plebeji-
schen Revolutionär huldigend, der
sich nicht kämmt, der überdies ihre
Mutter tödlich beleidigt hat! Der-
gleichen mag für eine Oper gut ge-
nug sein, die Muse der Poesie wirft
es verächtlich zum Pluuder.
And überhaupt: die Gewohnheit
altüberlieferte herrliche Motive mit
der Schreibfeder statt mit dem Her-
zen zu genießen, die Sucht, über
antike Poesie Paprikasauce odsr
Rosenwasser zu schütten, um sie
für uns verdaulich zu machen, dic
Voraussetzung, die schönsten Stel-
len der größten Dichter der Ver-
gangenheit wären nur der Roh-
stoff und warteten auf die stüm-
Pernde Bearbeitung des ersten
besten pfiffigen Modernen!
Es gibt nun einmal (glücklicher-
weise) in der Weltliteratur Stellen,
die so vollendet schön gediehen
sind, daß es da nichts zu ändern und
zu bessern, zu grübeln, auszu-
schöpfeu und umzudichten gibt;
Stellen, von denen es einfach
heißt: die Hände weg!
Karl Spitteler
„Der blutige Oskar",
so überschreibt „kein Geringerer"
als Paul Schlenther cinen sozu-
sagen — Huldigungs artikel für
Oskar Blumenthal: Schlenther, einst
der Kritiker mit der unerbittlichen
idealen Forderung, dann der Burg-
theaterdirektor mit dcn bereitwilli-
gen Kompromissen und nunmehr
der Feuilletonplauderer mit den
Erinnerungen aus jenen seinen bei-
den früheren Leben. In dem Arti-
kel sprüht's nur so von echt Blu-
menthalschem „Geist". „Vor dem
Schlußakt verließen Sie uns mit
der treffenden Bemerkung: »In dem
Stück ist so viel von einer Bill die
Rede, daß es eine Unbill wäre,
länger zu bleiben«" — dies leuch-
tende Wort hat Schlenther durch
drei Iahrzehnte im Busen getragen!
Dann ist von Blumenthals Berliner
Rezensentenzeit die Rede: „Man
las Sie mit Schadenfreude und mit
Zähneknirschen. Man fluchte, man
wetterte, schnob. Man schrie: schlagt
ihn tot — und der Rezensent wurde
verschlungen." „Die Konkurrenz
trat in den Hintergrund", obgleich
Frenzel und Fontane darunter
waren. Guter Or. Schlenther, welch
aufhellende Mitteilungen über das
Milieu, in dem Sie Ihre stürmi-
sche Iugend verlebten! Ans andern
nämlich, die wir uns damals mit
Literatur befaßten, ist es nie ein-
gefallen, über Blumenthal zu
fluchen oder zu schnaubeu, uns war
er eben ein Feuilleton-Hanswurst
auf dem großen Markt, dem, wie
Sie selbst so richtig sagen, vor allem
an den Vielen lag und der uns
deshalb gar nichts anging. Da aber
Schlenthern der blutige Oskar nun
mal imponierte, so kam er nach
und nach immer mehr hinter ihn.
„Der Epigrammatiker war
Dramatiker geworde n." Ia:
Woraus sollte sich echte Dramatik
auch wohl sonst entwickeln? Bald
wurde er „der erste siegreiche
lebende Autor dieser großen Kunst-
anstalt", des Deutschen Theaters.
„Artur Levhsohn schrieb damals
an dieser Stelle: wir haben einen
deutschen Sardou!" „Die Geschichte
des Lessingtheaters (»Ihres Wer-
kes«) wird zugleich die Geschichte
der dramatischen Kunst des
letzten Iahrhunderts sein." Asw.
Wir hätten gar keinen Grund
gehabt, von Vlumenthal gelegent-
lich seincs 60. Geburtstages zu spre-
chen. Er geht unsre Literatur und
geht deshalb auch uns nichts an.
Es ist nicht seine Schuld, daß er
als Rczenscnt nie einen neucn Wert
h Aprilheft (9(2 U
kann. Man denke doch: die Toch-
ter eines regierenden Fürsten! und
mit ihrem Herzen einem plebeji-
schen Revolutionär huldigend, der
sich nicht kämmt, der überdies ihre
Mutter tödlich beleidigt hat! Der-
gleichen mag für eine Oper gut ge-
nug sein, die Muse der Poesie wirft
es verächtlich zum Pluuder.
And überhaupt: die Gewohnheit
altüberlieferte herrliche Motive mit
der Schreibfeder statt mit dem Her-
zen zu genießen, die Sucht, über
antike Poesie Paprikasauce odsr
Rosenwasser zu schütten, um sie
für uns verdaulich zu machen, dic
Voraussetzung, die schönsten Stel-
len der größten Dichter der Ver-
gangenheit wären nur der Roh-
stoff und warteten auf die stüm-
Pernde Bearbeitung des ersten
besten pfiffigen Modernen!
Es gibt nun einmal (glücklicher-
weise) in der Weltliteratur Stellen,
die so vollendet schön gediehen
sind, daß es da nichts zu ändern und
zu bessern, zu grübeln, auszu-
schöpfeu und umzudichten gibt;
Stellen, von denen es einfach
heißt: die Hände weg!
Karl Spitteler
„Der blutige Oskar",
so überschreibt „kein Geringerer"
als Paul Schlenther cinen sozu-
sagen — Huldigungs artikel für
Oskar Blumenthal: Schlenther, einst
der Kritiker mit der unerbittlichen
idealen Forderung, dann der Burg-
theaterdirektor mit dcn bereitwilli-
gen Kompromissen und nunmehr
der Feuilletonplauderer mit den
Erinnerungen aus jenen seinen bei-
den früheren Leben. In dem Arti-
kel sprüht's nur so von echt Blu-
menthalschem „Geist". „Vor dem
Schlußakt verließen Sie uns mit
der treffenden Bemerkung: »In dem
Stück ist so viel von einer Bill die
Rede, daß es eine Unbill wäre,
länger zu bleiben«" — dies leuch-
tende Wort hat Schlenther durch
drei Iahrzehnte im Busen getragen!
Dann ist von Blumenthals Berliner
Rezensentenzeit die Rede: „Man
las Sie mit Schadenfreude und mit
Zähneknirschen. Man fluchte, man
wetterte, schnob. Man schrie: schlagt
ihn tot — und der Rezensent wurde
verschlungen." „Die Konkurrenz
trat in den Hintergrund", obgleich
Frenzel und Fontane darunter
waren. Guter Or. Schlenther, welch
aufhellende Mitteilungen über das
Milieu, in dem Sie Ihre stürmi-
sche Iugend verlebten! Ans andern
nämlich, die wir uns damals mit
Literatur befaßten, ist es nie ein-
gefallen, über Blumenthal zu
fluchen oder zu schnaubeu, uns war
er eben ein Feuilleton-Hanswurst
auf dem großen Markt, dem, wie
Sie selbst so richtig sagen, vor allem
an den Vielen lag und der uns
deshalb gar nichts anging. Da aber
Schlenthern der blutige Oskar nun
mal imponierte, so kam er nach
und nach immer mehr hinter ihn.
„Der Epigrammatiker war
Dramatiker geworde n." Ia:
Woraus sollte sich echte Dramatik
auch wohl sonst entwickeln? Bald
wurde er „der erste siegreiche
lebende Autor dieser großen Kunst-
anstalt", des Deutschen Theaters.
„Artur Levhsohn schrieb damals
an dieser Stelle: wir haben einen
deutschen Sardou!" „Die Geschichte
des Lessingtheaters (»Ihres Wer-
kes«) wird zugleich die Geschichte
der dramatischen Kunst des
letzten Iahrhunderts sein." Asw.
Wir hätten gar keinen Grund
gehabt, von Vlumenthal gelegent-
lich seincs 60. Geburtstages zu spre-
chen. Er geht unsre Literatur und
geht deshalb auch uns nichts an.
Es ist nicht seine Schuld, daß er
als Rczenscnt nie einen neucn Wert
h Aprilheft (9(2 U