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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0209
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Der päpstliche Ton stammt
nur zur kleinern Hälfte aus einer
fehlerhaften Stimmgabe des Schrei-
benden, das meiste davon ist
Ohrensausen des Publikums, wel-
ches den Vorwurf „Literaturpapst",
„Kritikpapst" usw. ziemlich freigebig
austeilt. Wie kommt ein Kritiker,
ein Zeitungsredakteur usw. in den
Ruf des Papsttums? Fanatis-
mus, Engherzigkeit, Absprecherei,
Bösartigkeit und dergleichen be-
wirken das nicht; damit wird einer
ein widriger verhaßter Despot der
Kritik, nicht aber ein Papst der
Kritik; die Päpste der Kritik sind
im Gegenteil ernste, würdige, milde
Herren, die unter anderm auch zu
segnen verstehen. Mir scheint, die
Sache liegt folgendermaßen: Ieder
Mensch, der eine Aberzeugnng hat
und 'in den Fall gesetzt ist, seine
Äberzeugung öfters lehrhaft aus-
zusprechen, also ein Kritiker, ein
Redakteur, ein Professor erstrebt
natürlich möglichste Verbreitung
seiner Aberzeugung, er will das
Publikum, wenn nicht belehren,
doch jedenfalls beeinflussen. Mehr
begehrt er nicht, falls er kein
Streber ist; er predigt seine Aber-
zeugung, will sie aber niemand
durch Edikte oder Bullen aufdrän-
gen. Nun kommt aber bei hervor-
ragenden Leistungen eines Kriti-
kers oder sonstigen Literaten oder
Professors mit den Iahren ein
Ieitpunkt, wo sein Name Autori-
tätkraft erhält und sein jedesmali-
ger Ausspruch fortan vom größten
Leilc der Leser wie ein Nichter-
spruch ungeprüft hingenommen
wird; während der kleinere Teil,
der nicht mit dem Ausspruch ein-
verstanden ist, nicht gerne mit einer
anerkannten Autorität anbindet
uud lieber schweigt. Mit diesem
Augenblick hat derjenige, dessen
bloßer Name schon überzeugend
wirkt, cine ganz ungcheure Macht

über seine Leser, ja sogar weit über
seine Leser hinaus: bis in alle
Schichten der Nation. Eine solche
Abermacht ist nun dem Ligner
dieser Macht, falls er wirklich
etwas taugt, durchaus unerwünscht.
Ia, er weiß meistens nicht einmal,
wie gewaltig seine Macht ist, wie
denn überhaupt die berühmten
Leute der Feder nicht wissen kön-
nen, wie berühmt sie sind. And
diese gewaltige Macht wird je
länger desto mehr zwar nicht vom
großen Publikum, das ganz froh
ist, einen Leithammel für sein Ur-
teil zu haben, wohl aber von
denen, die diese Macht zu fühlen
bekommen, als lästig verspürt.
Nicht ganz mit Unrecht, denn daß
ein Einziger, und immerfort der
Nämliche, und wäre er noch so
tüchtig, den Leistungen die Note
erteile, ist ja eigentlich ein Anfug
uird ist auch, ich behaupte es noch-
mals mit Nachdruck, dem Eigner
solcher Macht ganz unerwünscht.
Der kritischen Autorität wird der
Unfehlbarkeitsnimbus von seiner
gläubigen Lesergemeinde geradezu
aufgeürängt. Da nun die Autori-
tät, einmal erlangt, mit jedem
Iahre wächst, so braucht einer bloß
in seinem Amt noch ältcr zu wer-
den, um schließlich der Opposition
als „Papst" oder, falls er noch
Kameraden der Autorität hat, als
„Bonze" zu erscheinen. In dem-
selben Maße wachsen dann auch
die Amsturzgelüste der Opposition;
die Grollenden, die lange Iahre
nur gemurrt haben, fangen an sich
zu verständigcn, die Artcils-Be-
schränkthciten der allmächtigen
Autorität (und jedes Menschen Ur-
teil hat ja seine Schrankcn) werden
besprocheu und bespöttelt, oft im
Geheimen, endlich öffentlich; plötz-
lich eines Morgens, vicl frühcr,
als jemand vermuten konnte, liegt
der Papst am Boden; indem das

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