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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0211
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Theater

schöpferisches Bilden mit Vorstel-
lurrgen. Bleibt der Unterschied allen
bewußt, so kann bei allerhand Ge--
brauchsliteratur anch der reimende
Dilettantismus sehr wohl am Platze
sein, die Gefahr ist aber, daß er nicht
bewußt bleibt, weil die äußere Er--
scheinung dort die nämliche wie die
der Poesie ist. Da der reimende
Redner beim Publikum keinerlei
inneres Nachschaffen benötigt, wäh--
rend der Dichter an die Phantasie
der Aufnehmenden hohe Ansprüche
stellt, hat der Dilettant immer das
größere Publikum, immer, auch in
der Kritik, sobald er nur was Ein--
gängliches zu sagen hat nnd gefällige
Reime zn machen versteht. Die
Folge davon war zu Trägers Zeit,
daß das Publikum, welches den
Träger, Rittcrshaus, Bodenstedt
usw. znjubelte und ihre Auflagen
aufkaufte, ein Menschenalter hin--
durch keine Ahnung davon hatte,
welche Lhriker mit den Mörike, Kel--
ler, Hebbel, Storm, Groth usw.
zwischen ihm lebten. Es hat der
Anstrengungen einer Generation be-
durft, nm einen größeren Leserkreis
in die Nähe der Tiefen zu führen,
in denen die Kristalle des Lebens
wachsen.

Aber der znrückgcdrängte Dilet--
tantismus in sogenannter „Pro-
duktion" wie in sogenannter „Kri-
tik" ist noch da und verlangt wieder
nach Herrschaft. Wir haben die Leser
vor einiger Zeit auf einen typischen
Vorstoß eines seiner thpischsten Ver-
treter, Karl Busses (vergl. Kw.
XXV, 2) hingswiesen. Der Auf-
merksame wird nun auch sonst an
einer Menge Stellen den Eindruck
haben, daß die Schwachen wieder
hinaufwollen, und die Gefahr ist
immer da, daß sie auch hinauf-
kommen, weil sie die Vielen sind
und zu den Vielen sprechen. Ihr
Sieg würde schlechtweg einen
Rückschritt unsrer Kultur be°

deuten, der wiederum die Dich-
ter in den Hintergrund, die
Dilettanten in die Vorderreihe
stellte. Das ist der Grund, wes-
halb Feierartikel, wie die gelegent-
lich Trägers, auch von uns beachtet
werden sollten, wenn sie von Hun-
derttausenden gelesen werden. Nicht
um alt oder neu, nicht um „Neuere
und Neuerer" handelt sich's bei all

dem, sondern um die Gefahr einer

neuen Verbildung durch das Durch-
einandermengen und Verwirren
großer und kleiner Werte. A

Moritz Heirnanns „Feind
und Bruder"

Berliner Theater

um zweiten Male hat sich jetzt
eine Berliner Bühne überwun-

den, ein Stück von Moritz Hei-
mann aufzuführen. Als das
Kleine Theater vor zwei Iahren
mit diesem Mut begann, faßte es
sich von vornherein in Resigna-
tion, indem es die politische Ko-
mödie von Ioachim Brandt, dem
wilden, erst nach hartnäckigem pol-
terndem Widerstand zur Staats-
räson bekehrten Individualitäts-
fanatiker, mit gelassener Treue
möglichst so zu spielen suchte, wie
sie im Buche gedruckt stand. An-
ders die Kammerspiele, da sie's
mit Heimanns erster Tragödie
„Der Feind nnd der Bru-
der" wagten. Sie versuchten —
ganz gegen den Sinn ihrer sezes-
sionistischen Gründung und Be-
stimmnng — durch Kürzungen, Zu°
sammenziehungen und Umstellun-
gen „bühnenfähig" zu machen, was
doch, in Abstraktion geboren, auch
nur in Abstraktion wieder aufer-
stehen kann. Ich weiß nicht, ob
diese Korrekturen eines anders ge°
arteten Regiewillens die geduldige
Zustimmung Les Dichters hatten;
erfreulich war jedenfalls, daß er
Geschmack genug besaß, am Abend

(63 Kunstwart XXV, (5
 
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