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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0216
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innerungstage kommen dem Be-
dürfnis nach Aktnalität entgegen.
Der Winter rief zunächst

mit der hundertsten Wiederkehr
von Liszts Geburtstag eine
wahre Stnrmflnt von Lisztkonzer-
ten hervor. Kein Pianist, der
nicht einen Lisztabend gab, kein
Dirigent, der nicht eine Amffüh-
rnng „dem Andenkcn Franz Liszts"
widmete; die ganze musikalische
Welt wnrde plötzlich zu einer gro-
ßen Lisztgemeinde. Wie fein hätte
der Meister gelächelt beim Anblick
dieser Betriebsamkeit! Indesscn ein
Gntes hatte diese plötzliche Begei-
sterung doch. Liszts Schaffen kam
einmal so ziemlich in seinem gan-
zen Amfange zu Gehör, nnd da
wir inzwischen weit genug fortge-
schritten sind, um es frei von
törichtcn Vorurteilen zu betrach-
ten, wurde der Menge die Be-
deutung Liszts und seine Stel-
lung in der Entwicklungsgeschichte
der modernen Musik zu klarerem
Bewußtsein gebracht. Die öffent-
lichen Huldigungen gipfelten in den
Lisztvorträgen Ferruccio Busonis,
der manches in ganz eigener, neuer
Weise beleuchtete und mit seiner
ungemein farbigen, man möchte
sagen impressionistischen Art sich
als der berufenste Interpret dieser
Musik bewährte. Mchr und mehr
wird man nun auch dahin kom-
men, Liszt in harmonischer und
stilistischer Beziehung nicht sowohl
als Epigoncn denn als Vorläufer
Wagners zu bctrachten.

Soweit übrigens Busoni auch
seine Fachgenossen als Techniker
und origineller Gcist überragt, so
gehört doch auch er zu der Gruppe
reflektierender Pianisten, die heute
das Feld beherrscht. Ein Abend,
den Eugen d'Albert gab, wirkte
deshalb wie ein elementares Er-
eignis, weil in ihm das naivere,
mehr aus dem Instinkt und der

Empfindung gcstaltende Klavier-
spiel früherer Zeiten wieder auf-
lebte.

Die Welle der Lisztbewegung
wurde im Iauuar abgelöst durch
eine andere schwächere, die Fried-
rich den Großen auf den Schild
hob. Man wird den genialen
Preußenkönig nicht feiern können,
ohne des tüchtigen und ehrlichen
Musikers auf dem Throne zu ge-
denken. Indessen sein Komponie-
ren war doch insofern Dilettantis-
mus, wenn auch sympathischster
Art, als es an Iugendeindrücke ge-
bunden blieb und die eigentliche
Entwicklung seiner Zeit nicht mit-
machte. Seine Werke heute wieder
beleben zu wollen, ist ein frucht-
loses Bemühen, und so hatten denn
die vielseitig angestellten Versuche
auch nur den Wert von Kuriosi-
täten.

Die moderne Musik kann
sich nicht beklagen, daß sie nicht zu
Wort käme. Zahlreich waren auch
in diesem Winter die Aufführun-
gen mit neuen Werken aus allen
Gebieten der Literatur, aber kaum
eine der vielen Novitäten eröffnete
den Ausblick auf neue Iiele, rückte
eine neue Persönlichkeit in den
Vordergrund. Der junge Erich
W. Korngold in Wien ist ge°
wiß ein ungewöhnlich begabter
Knabe, der eine fast unheimliche
Frühreife zeigt. Er fängt da an,
wo Richard Strauß und Reger
angelangt sind, und die Kompli-
ziertheit erschcint ihm angeboren.
Bci näherem Zusehen mcrkt man
jedoch, wieviel äußerlich Abernom-
menes und Unverdautes mit unter-
läust, uuü man vermißt in dem
jungen Künstler schmerzlich jeden
Zug von Naivität und kindlicher
Unbefangenhcit. Man sieht keine
Entwicklungsmöglichkeit und fragt
sich besorgt, wo das hinaus soll!
Noch unerfreulicher wirkten neue

j. Maiheft M2
 
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