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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0219
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ist mehr als ein sonderbarer Zufall,
denn man kann Vcrbindungslinien
vom Greco zur modernen Kunst
ziehn. Modern ist sein Naturalis-
mus, modern seine Neigung zum
Dekorativen, modern seine starke,
überreizte Nervosität, modern in
gewissem Sinne auch das mystische
Element, das besonders in seinen
späteren Werken zum Ausdruck
kommt. In der Entwicklungs-
geschichte des Impressionismus
spielt er zweifellos eine wichtige
Rolle. Muther sagt von ihm:
„In der Entmaterialisierung der
Farbe ist kein alter Meister weiter
gegangen, und die Intensität, mit
der er das Zuckende neben dem
ornamentalen Nhythmus der Linie
fühlt, nimmt alles voraus, das im
l9. Iahrhundert van Gogh gemalt
hat." Zu den Bewunderern des
Griechen gehören auch viele Maler,
und es scheint mir nicht unwichtig,
daß einige, die es sich leisten
können, wie Degas, Sargent, Zu°
loaga, Bilder des Meisters gesam-
melt haben. Sein Einfluß auf die
moderne Malerei ist unbestreitbar.
Als er starb, hinterließ der Meister
von Toledo keinen eigentlichen
Schüler. Denn Luis Tristan, sein
Gehilfe, versuchte nicht, seinen Stil
weiterzubilden. Aber von Max
Oppenheimer, unserm Zeitgenossen,
kann man sagen, daß er ein Schü-
ler des Greco ist. Nnglücklicher-
weise scheint ihm gerade der Ma-
nierismus des Meisters am meisten
zu imponieren.

Denn mögen sich auch beim
Greco gewisse Vorahnungen des
modernen Malstils zeigen, ebenso
unverkennbar tragen alle seine Ar-
beiten nach andern Seiten hin den
Stempel eines haltlosen Epigonen-
tums. Seine Originalitätsucht machte
ihn zwar zum Pfadfinder, aber sie
steigerte auch seine Schwächen ins
Groteske. Es ist allerdings nicht

ganz leicht zu entscheiden, was bei
ihm wirkliche Schwäche ist. Denn
in seiner Iugend hat er so schön und
sicher gemalt wie nur irgendein
junger Venezianer. Man sagt so-
gar, daß seine ersten Bilder denen
seines Lehrers Tizian zum Ver-
wechseln glichen. Vielleicht muß
man also alles das, was uns an
seinen späteren Werken befremdet
oder geradezu abstößt, als gewollte
Effekte, als raffinierte Absicht be-
zeichnen. Iedenfalls hatte er nicht
die Kraft, das Neue, das er wollte,
zu einer lebendigen, organischen
Einheit durchzubilden und auszu-
gestalten. Seine Menschen sind in
den späteren Arbeiten fast alle
verzeichnet, sie sind in die Länge
gezogen, als wären sie aus Kuchen-
teig oder Kautschuk. Mit der Be-
leuchtung erzielt er oft übcrraschende,
wundersame Wirkungen, aber meist
ist sie willkürlich, unnatürlich. Und
dasselbe gilt von seinen Farben.
Ich möchte sagen: mehr als das
eigentliche Malen interessiert den
Greco die effcktvolle Inszenierung,
er ist eine Art Regisseur, ein Rein-
hardt der Malerei, und indem er
diesem Zuge seines Geistes folgt,
entfernt er sich immer mehr von
den künstlerischen Idealen des klas-
sischen Venedig. Er wird zu einem
thpischen Vertreter des Barocks.

Die neue Idee, die ihn be°
herrscht, ist stärker als er selbst.
Er wird von ihr, wie von einer
höheren Macht fortgerissen. Er
wird ihr Diener, ihr Sklave, ihr
Besessener. Er versucht, sich über
sich selbst hinaus zu steigern. Er
arbeitet mit immer stärkeren Effek-
ten, und so wird er zum manieristi->
schen Virtuosen.

Interessanter noch dcnn als
Künstler erscheint er mir als
Mensch. Ein ungeheurer Ehrgeiz
muß den jungen Kreter Domenico
Theotocopuli erfüllt haben, als er

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