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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0222
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nach Vencdig segelte, nm die Male-
rei zu erlernen. Als er den Boden
der Lagunenstadt betrat, tat sich
vor seinen staunenden Augen das
Märchenreich der voll entfalteten
Renaissancekunst auf. Er durfte
in der Werkstatt des alteu Tizian
arbeiten und lernte dort alles,
was ein begabter Schüler lernen
kann. Auch die Bassani, Vero-
nese und Tintoretto ließ er auf
sich wirken. Später in Parma
tat das Lorreggio und in Rom
Raffael und Michelangelo. Voll-
gesogen mit italienischer Kunst, ver-
ließ er, etwa dreißig Iahre alt,
Italien und zog uach Toledo.

Damals hatte er zwar schon
durch einige Bildnisse und reli-
giöse Gemälde einiges Aufsehen
errcgt. Aber er war schließlich
nur ein junger, talentvoller Maler,
wie es damals viele gab. In
einer schicksalschweren Stunde muß
ihm das zum Bewußtsein gekom-
men sein. Vielleicht wurde er
eines Tages von einem sarkasti-
schen Kollegen wegen seines ge-
schickten Eklektizismus verspottet?
Odcr ihm dämmerte selbst die Er-
kenntnis auf, daß er weiter nichts
war als ein Imitator, ein Epi-
gone. Mit solchem Dutzcndschicksal
konnte sich sein fiebernder Ehrgeiz
nicht zufrieden gcben: er wollte
um jeden Prcis cin Eigcner sein,
ein Genie, ein Eroberer. In
Spanien begann er nun die lange
Neihe jener Bilder, die ihm den
erträumteu Wcltruhm sichern soll-
ten. Er wurde in seiner Pinsel-
führung phantastisch, maßlos, ge-
waltsam. Und cr wurde berühmt!

Mau muß die Aufcrstehung
Lhristi, dic sich in Toledo befindet,
mit jener im Prado zu Madrid
verglcichen. Das Tolcdanerbild ist
noch ganz venezianisch, unpersön-
lich, das im Prado ein thpischer
Greco. Eine Kluft ohne Brückcn

scheint zwischen diesen Arbeiten zu
gähnen; es ist schwer zu glauben,
daß beide von einem Maler
stammen. Latsächlich hat man ja
auch früher eine Reihe seiner Iu-
gendarbeiten venezianischen Künst-
lern zugeschrieben.

Wenn man diese beiden Auf-
erstehungen miteinander vergleicht,
kommt einem zum Bewußtsein, daß
die Entwicklung von der Hoch-
renaissance zum Barock, die bei
den meistcn Naturen sich lang-
sam und stetig vollzog, hier wie
ein forcierter, tollkühner Sprung
erscheint. Die Gewaltsamkeit seines
Wollens wurde dem Künstler zum
Verhängnis. Es ist etwas Tra-
gisches in dem Schaffen dieses
Mannes, der zwischen zwei Rassen
und zwei Zeitaltern steht. Wird der
Ruhm, dcn er heute genießt, von
Dauer sein? Wird er nicht, den
Gesetzen seiner Kometenbahn fol-
gend, abermals in dem Dunkel
der Interesselosigkeit verschwinden,
um vielleicht erst einem spätern
Geschlecht von Schmeckern mit
reizhungrigen Gaumen wieder ein-
mal auf eine Weile zu leuchtcn?*
Georg Martin Richter

* Im Delphin-Verlag in Mün-
chen ist kürzlich eine Monographie
über den spanischen Griechen er-
schienen, die aus der FederAugust
L. Mahers stammt und mit
einem reichen Abbildungsmaterial
hübsch ausgestattet ist. Es ist eine
sachliche, ruhig abwägende Arbeit,
die unbekümmert um Modeströ-
mungen ein lebendiges Bild von
dem künstlerischen Wollen des
Greco zu entrollen versucht. (Preis
des Pappbandes ^ Mark.)

(. Maiheft (9(2 (?9
 
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