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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0228
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Schule mit an der Erziehung des
Sinnes für die sichtbare Fornr und
damit an der Erziehung des Form--
gefühls und der Formausdrucks-
fähigkeiten überhaupt arbeitet, sche
ich zunächst allgemein-er-
zieherische Möglichkeiten, durch
solchc Anfsatzarbeiten zu wirken. Es
kommt einmal eine Abwechslung in
das Einerlei der Aufsatzreihe, die
Arbeit bedeutet von vornherein
etwas Besonderes, denn der Schüler
sieht sich vor die Aufgabe gestellt,
Selbstgesehenes und Selbstdarge-
stelltes einmal zu eincm Ganzen
zusammenzuarbeiten, aus einem
Aufsatz, den er selbst geschrieben,
aus Zeichuungen, die seiner Hand
entstammen, aus Inhalt und Ge-
wand einmal ein richtiges Buch,
etwas Ganzes, nur ihm Eigenes
zu schaffcn. Ein sichtbares Ganzes
aus Eigeneml Wo und wann hat
ihm dic Schule schon einmal eine
solche Aufgabe gestellt?

Sobald cr in den Stoff einge-
führt ist und ihm dic Aufgabe klar,
beginnt dic Arbeit aus Eigenem
für ihn. Unserc Schüler mußten
untersuchen, unterscheiden und sich
entscheiden lernen, welche Gcgen-
stände, welche besonderen Seiten der
Dinge, die sie darzustellen hatten,
dcnn übcrhaupt in Betracht kommen
konntcn. Sie hatten also dem Stoff-
lichen gegenüber eine gewisse Selb-
ständigkeit zu üben. Das Bild des
Ganzen vor Augen, mochte es auch
noch so unklar im Anfang sein,
hatten sie zu lernen, ihre Mittel
richtig zu vcrwenden, hatten abzu-
wägen, was nur zu schreibcn, was
nur zu zeichnen war, hatten sich klar
zn werdcn, was nur summarisch,
was cingehend behandelt zu wer-
deu verdiente, und demgemäß die
Frciheit, sich zu beschränken oder
so ausführlich zu werden, als sie
die Lust an der Sache — beson-
ders auch zeichnerisch — trieb. Auch

im Formalen waren sie selbständig,
nur das Format des Ganzen wurde
ihnen gegeben, sonst waren sie im
Rahmen der Forderungen, die für
solch ein selbstgeschriebenes und -ge-
zeichnctes Heft notwendig werden,
eigcne Herren. Ieder achtete, wie
zu bemerkcn war, viel mehr als
sonst auf das, was er selbst und
was andere taten. Seine Arbeit
wurde ihm zum erstenmal eine ernst-
hafte Sache. Ilnd mehr als ciner
sctzte seinen Ehrgeiz darein, beson-
ders eigen zu arbeiten. Daß dabei
einer auch eiumal bis tief in die
Nacht hinein gescssen hat, was macht
das aus? Solch gcstaltendes Schaf-
fen zeitigt Liebe zur Sache, Arbeit-
freudc und Selbstvertraueu, wie es
zur Selbständigkeit, zu durchhaltcn-
der Energie erziehen hilft; es hilft
— im kleinen — Charakter bilden.

Die Möglichkeit, sachlich tie-
fer zu wirken, tritt hinzu. Es
können praktischc, technische, wissen-
schaftliche Kenntnisse in einer Weise
vermittelt werden, die für ein festes
Haften in Gedächtnis und Anschau-
ung wohl bürgt. Am Stoffe braucht
der Lehrcr nicht verlegen zu sein.
Denn die ganze sichtbare Formen-
welt aus Natur uud Kultur steht
zur Verfügung. Das Gebiet der
Heimatkunde wäre es vor allen
Dingen, dem hicr einmal rechte
Pflege zuteil werden könnte, auch
in den höheren Klassen öer höheren
Schulen, die dicsen Gcgenstand kaum
kennen und ihm doch erst das rcchte
Bcrständnis cntgegenzubringen ver-
mögcn. Ein Gegengewicht mehr
gegen das Aberhandnchmen der
Literaturthemcn im deutschen Auf-
satz würde geschaffen, und daß die
Wissenschaft, die intellektuelle und
sprachlichc Schulung, all das, wes-
halb man Aufsätze schreiben läßt,
durch das Hinzutreten zeichnerischer
Tätigkeit nicht bceinträchtigt, son-
dern nur gefördert werden kann,

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