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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 15 (1. Maiheft 1912)
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0237
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Körperpflege

Bildung und
Schule

lichem Verkehr mit Prinzen und
Prinzessinnen. Ia, man pries
„Mah als Erzieher", und man
fragte, ob denn nicht Mays Ein-
fluß auf sein Volk größer und
segensreicher sei, als der Shakespc--
res auf das englische. In der Tat
gingen auch seine Schriften weit
über unser Volk hinans: kein andrer
lebendcr Deutscher hat so zur
„Weltliteratur" gehört, wie er.
Allein die nüchterne Ziffer sagt
wohl genug, daß Mah als Literat
etwa sechs Millionen verdient hat.

Und das alles, obgleich nicht etwa
nur wir vom Kunstwart, sondern
cbensolange schon Männer der ver-
schiedensten Richtungen mit höch-
stem Ernste vor ihm warnten.
Wohl: warum taten sie das eines
Sinnes, wie verschieden sie sonst
dachten, und ohne daß sie damals
von May dem Menschen irgend
etwas wußten? Weil sie befähigt
waren, beim Lesen, dnrch kein Vor-
machen verwirrt, das Sein aus dem
Schein herauszufühlcn. Die Natur
hat in gesunden Geistern, Gott sei
Dank, Sclbstreinigung, wie bei Flüs-
sen, wir dürfen hoffen, daß nicht
alles, was aus Mahschen Schrif-
ten zwischen den Zeilen in die Köpfe
und Herzen geflossen ist, unausgc-
schicden blieb. Aber über ein Maß
hinaus versagt die Selbstreinignng,
auch wieder wie beim Fluß. Wie-
viel Mahschen Innenwesens ist mit
den Hunderttausenden seiner Bände
in unser Volk, in andre Völker ge-
flossen, weil all diese Leser, vor
allem: weil all diese Propagatoren
seines Ruhms nicht bemerkten, was
doch die anfangs kleine Zahl seiner
Bekämpfer sofort beim Lesen sah?

Vielleicht zeugt keine einzige Er-
scheinung des ganzen vorigen Iahr-
hundcrts eindringlicher davon: wie
bitter not uns eine ästhetische
Kultur aus ethischen Grün-
dcn tut! A

Der komPendiöseLlnterleib

Oder die Prcisfrage: wo habe ich
meine Eingeweide untergebracht?

Schülerfelbstmorde

/T^ie Zeitungcn berichten jetzt nicht
^nur von dem oder jenem Fall.
Die Tatsachen häufen sich. Es
scheint fast wie ein Vund junger
Geister, dcr auf diese entsetzliche
Weise Protest einlegcn will. Min-
destens merkt man, wie ansteckend
solche Ereignisse wirken. Die seeli-
schen Kräfte befinden sich oft in
einem solchen Zustand innerer Er-
regung, daß ein kleiner Anstoß ge-
nügt, sie zur vollen Verwirrung zu
führen. Wenn wir hcute ein Wort
dazu sagen, schalten wir selbstver-
ständlich jede persönliche Beziehüng
aus. Darüber soll mau nicht s p r e-
chen; das muß durchlebt sein.

Aber ein ernstes Wort müssen
wir sagen. Wir finden in dieser
Iahl zunehmender Schülerselbst-
morde keine bcrechtigte Anklage
gegen die Schule. Auch wir wissen,
daß cin Lchrer oft Scele und Leib
eines Schülers auf dem Gewisscn
hat. Es gibt Lehrer an allen Schu-
len, welche das vollständig vergessen
und in persönlicher Reizbarkeit
cinem Iungen nicht nur die Schule


Kunstwart XXV, fS
 
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