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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 17
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Unsre Bilder und Noten
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0404
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„Tra u-m ma l er" verfahren. Alfred Kubin, vou dessen cigen--
tümlichem Talent wir schon vor einigen Iahren (Kw. XVI, 1,1 und XX, »)
berichtet nnd gezeigt haben, gibt mit seinem „Zinshaus" ein überaus
merkwürdiges Bild. Ls ist nichts darauf, was nicht in der Wirklichkeit
so sein könnte, nichts phantastisch Unmögliches, es ist auch nicht Mord
und Todschlag oder sonstwelches erschreckendes Geschehen darauf, und doch
ist der Eindruck im höchsten Maß unheimlich. Woran liegt das? Der
Schutzmann mit dem altcn Helm kann's nicht machen (das Bild wirkte
auf mich schon beim ersten Blick so, eh ich ihn noch bemerkt hatte), er
gibt nur einer schou hingeschriebenen Stimmung den Tupfen übers i.
Etwas wie die vielbesprochene „falsche Erinnerung" taucht in uns auf:
uns ist, als hätten wir das schon irgendwo gesehn. Es wirkt wie eine
verdichtende Shnthese aus unlustvollen Eindrücken von Sde, Armut,
Leid, Verbrechen, Grauen aller Art, die unser Gedächtnis im Lauf der
Iahre aus dunkeln Stadtteilen aufgespeichert hat nnd die nun der Lraum
in ein Eines verwebt. Der Schutzmann auf der Brücke und der Posten
im Schilderhaus sind alles, was wir von Lebendigem wirklich sehen,
aber überall hinter den durch Gitterwerk oder Mauerhöhe geschützten
Fenstern i st etwas, ist ein Gefühl von irgend etwas Beschütztem, Be-
wachtem, Eingeordnetem, Eingeengtem, Eingespcrrtcm, Vertrocknendem,
Verdurstendem, das sich noch Leben nennen mag. Das Schematische der
ganzen Komposition und die Beleuchtung helfen zum Eindruck mit.

In dem Bilde des Korngespenstes wird daun das Grauen sichtbar.
Am längsten Tage spukt seit alten Zeiten die Nacht, in Sonnenpracht
auf eine Stunde der Winter, im blühenden Korn in Roggenmuhmen-
gestalt die Todesgöttin Frau Hel. Kubin wollte das nicht etwa dar-
stellen (dann hätte er nichts Selbsterlebtes geben können), aber aus
ähnlichen dunkeln Gründen ist sein traumhaftes Bild unzwcifelhaft auf-
getaucht. Nüchtern besehen ist diese Reitererscheinung da lächerlich
dumm, wie alles derartige, weshalb es ja von jeher dem ungläubigen
Karikaturisten willkommenen Stoff gab. Wessen Phantasie uicht gleich
„träumen" kanu, der decke sich das Scheusal zu und lasse zunächst die
Stimmung der Landschaft auf sich wirken, diese fahle mit dem un-
verständlichen Licht, dem unverständlichen Schatten vorn, und dcr schwarzen
hängenden Wolke im trostlosen Himmel über dem weiten lebendigen
Feld. Alles ist wie gesättigt vom Ahnen kommenden Anheils. Plötzlich
steht, ohne Pfad ins Korn, aus dem Unterirdischen herauf die höllische
Vogelscheuche da und glotzt irgendwohin, dumm und sinnlos, wie ein
Unfall. Kubins Bild ist so echte Traummalerei, daß, wer kein starker
Träumer ist, es wohl verstandesgemäß verstehen, kaum aber nachcrleben
wird.

Von Katharine Schäffner haben wir den Lesern schon manche
Bilder gezeigt (Kw. XXI, 22 und XXIV, 9) und darunter dem seelischen
Gehalt nach bedeutendere, als das heut beigefügte. Doch bringen wir
auch dieses gern, nicht nur, weil es in Komposition und Licht schön ist,
sondern auch, weil es das phantastische Beleben gleichsam im Vorgang
selber zeigt. Ist das Geröll oder Gctier, sind das Pflanzen odcr er°
wachsende Lichtkugeln, die sich dann zum Wegschweben lösen? Es ist
gleichsam der Traum im Träumen, der Traum, bevor er klar sieht.
Bis zu welchen starken,' großen, auch freudig-erhabenen Stimmungen


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