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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 25,3.1912

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Heft 18 (2. Juniheft 1912)
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Rath, Willy: Strindberg
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https://doi.org/10.11588/diglit.9027#0426
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sollten wir uns an seine Prosa halten, darin für viele noch weite Strecken
Neulands aufzurollen sind.

Die Frage, ob Strindberg ein Fraucnhasser sei, braucht hier und heut
nicht lang und breit erörtert zu werden. Ausnehmend derb bemerkt er
selber dazu in seiner Torenbeichte: „Am diese Zeit begann man sich infolge
eines Theaterstückes des berühmten männlichen Blaustrumpfes in Nor-
wegen (Nora!) mit diesem Schwindel zu beschäftigen, den man die»Frauen-
frage« genannt hat. Damals hatten alle schlaffen Geister die Monomanie,
überall unterdrückte Frauen zu sehen. Da ich mich von dieser
dummen Sache nicht betrügcn ließ, wurde ich für mein ganzes Lcben als
»Frauenhasser« bezeichnet." Bei andercn Gelegenheiten hat Strindberg oft
genug seinen Standpunkt genauer erörtert. Aus seinen eignen Lhe-
qualen und aus der damals im skandinavischen Norden wild einsetzenden
Propaganda für die Beherrschung des Mannes durch die Frau hatte er
ein solches Maß übler Eindrücke empfangen, daß seinc Hcftigkeit und
eine aewisse Verallgemeinerung des einen minderwertig-gefährlichen Weib-
typus, der „mrngeuse ck'vommss", die dem Mann alles nimmt und nur Haß
dafür gibt, aus seiner persönlichen Erfahrung zu erklären sind. Für jeden,
der wenigstens die Hauptschriften dcs großen Schweden gelescn hat, steht
im übrigen fest, daß auch in diesem Fall die Lxtreme sich gegenseitig er-
klären und diescr Mann nur deshalb als ein Frauenhasser erscheinen
konnte, weil er ein Frauenverehrer crsten Ranges — und dabei (was dem
durchaus nicht widerspricht) ein männlicher Mann war. Für echt wcib-
liche Frauen bewahrte er lebenslänglich die ritterlichste Verehrung. Rnd
wenn er zeitweilig die Zahl dieser Frauen unterschätzte, so hat er doch nie
bchauptet, jene Wcibchenart, unter der er litt, sei der einzige Frauentypus,
oder die Frau solle die Haussklavin dcs Mannes scin. Die natürlichen
Grenzcn der weiblichen Leistungfähigkeit kennzeichnet er unsers Lr-
achtcns schr richtig. Auf den Irrsahrten seiner ersten Ehe begrüßt er
mit Freuden die gesunde Art der deutschen Frauen, wie er sie (sS3?!) am
Ufer des Bodensccs fand: „Endlich sehe ich mich hier von der Partei der
Frauen unterstützt, und meine arme Maria ist verloren. Im vertrauten
Verkehr mit den Offizieren erhole ich mich. . . . Ich werde immcr be-
liebter bci den Damcn. Ich suche deren Gesellschaft auf, lasse mich von
dieser Wärme durchdringen, dic von wirklichen Frauen ausstrahlt; von
den Fraucn, welche die achtungvolle Liebe, die nicht überlegte Ergebenheit
einflößen, die der Mann allein den weiblichen Frauen gewährt." Also
sprach der „Frauenhasser". . . .

Auch auf den übrigcn Lebensgebietcn, die dieser ruhelose Wandercr be-
trat, läßt er sich nicht an ein cinzelnes Fleckchen banucn. Er durfte sagcn:
mcin Feld ist die Welt. Wie eine Verkörperung des alten „alles fließt"
strömte sein Sucherleben durch unsre wohlgedcichte und scheußlich ver-
schleußte Zivilisation. Daher war, seinem fanatischen Temperament zum
Trotz, Einseitigkeit sein geringster Fehler. Wenn wir zu erklären vcr-
suchten, wie er als Iüngling zunächst Dcmokrat, dann Aristokrat ge-
worden sei, so müßten wir uns gleich daran erinnern, daß er ja im Kern
von Anfang an Adelsmcnsch war und daß cr ebendeshalb auch in seiner
bewußt aristokratischen Epochc nicht aufhörte, das Wohl der Allgemeinheit
und die Stärkung der Schwächsten von Herzen zu wünschcn. Aber seine
religiöse Entwicklung allein ließen sich Bände schrciben; denn durch

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