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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 41,1.1927-1928

DOI Heft:
Heft 6 (Märzheft 1928)
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Eberlein, Kurt Karl: Peer Gynt: zu Henrik Ibsens 100. Geburtstag
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https://doi.org/10.11588/diglit.8883#0419

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lebte Melerlei lonndervoller Phantasie (wie Wolken, Blumen odcr Ge-
teufel auf altdeutfchen Altartafeln), nordifches Feiu- uud Kleinwerk, die
Traum- und Zaubersphäre der Elementar- und Naturgeisier, der Trolle und
Kobolde, des Teufels und der Liebe. Aus der geiftlichen Bühne ift die geiftige
Bühue geworden, auf der sich die Zeichen und Typengeftalteu, irdifch ver-
mummt, um dcn verlorenen norwegifcheu Sohn bewegen. Da ift die Mutter
Aase, die stolze, dumme, selbftlose Mutterliebe, da ift Solvejg, die treue,
gütige, hoffende Frauenliebe, da ift die irdifch sinnliche Leidenfchaft in ihren
Gestalten, Zngrid, die Säterdirnen, das grüngekleidete Weib, die fchlaue
Anitra, da sind die ftarken, klugen, dummen Bauern, der Schmied Aslak, der
Haegftadbauer, dcr Bräutigam, die Pietiften als zugewandertes Bauernpaar,
die KolonialnaLionen als Mafter Cotton, Monsieur Ballon, Herr von Eber
kopf, Trnmpeterftrole, der Philosoph Begrisfenfeldt, der Sprachformer Huhu,
der Fellah, der sein Gott, der Hussein, der seine Feder sein will, der Pfarrer,
der Amtmann, der Trollkönig Dovre-Alte, der als Nationaltroll wieder-
kehrt, der Hoftroll nnd das Gefolge aller Begierden, der Teufel, der als
magerer Priefter mit dem Vogelneh erfcheint, der Tod als Knopfgieszer, der
die mißlungenen Knöpfe umgießt. Durch cinzelne dieser Masken fchimmern
alte mythifche Züge (aus Asbjörnsens Feenmärchen) oder neuere Gesichter
der Dichtung. Die blonde, wartende Solvejg, in deren Glauben, Hosfen,
Lieben der verlorene Peer Gynt lebt, hat fchließlich Gretchens Madonnen
züge, wenn der heimgekehrte, durch Liebe gerettete Weltegoift jubelnd betet:
„Mutker, Wcib, Magd ohne Schuld nnd Fehle! Birg mich dcini in deiner
Seele!" Dcr Dovre-Alte, dcr Herr des imsichtbaren Trollereiches Ronde, hal
die Weisheit Mephiftos. Peer selbft, Träumer, Dichter, Schelm, Grop,
maul, Abenteurer und Egoift in eiiicm, der nur im Tollhaus dieser „Man
selbst"-Wclt gekrönte Kaiser der Selbftsncht, Norweger und Menfch, Enro
päer und Zbsen, ift der modcrne Fauft, der „anf llmwegen" heimkehrt zur
Hüttc dcr Liebe, die jmiiier wartend ihn nach Höllenfahrt, Welterfolg und
Wüftenreise, nach Schiffbruch und Verfteigerung in ihr ftilles ewiges Licht
zieht. Zuweilen in dichterifchen Bildern mid Gedanken (Sonnenuntergang,
Kanalidee, Memnonsidee, Sphinx u. a.) fühlt man sich an Goethes „Fanft"
erinnert, zuiveileii meint man Gocthes Divanheiterkeit, Heines frechen Wih
(Prophetenszene), Lichtenbergs beizenden Spott (Lluktion), Ticcks romantifche
Blnmcnftimmen (die Knänel, dic Blätker, die Lüfte, die Tautropfcn, dic
Halme) und romaiitifche Zronie („Man ftirbt nichk mitten im g. Akt!") zu
hören. llnd dann leuchtet wieder nnvergänglich Unvcrgeßliches der Dichtung,
ganz großc Lcbensdichtung, aus all dem Leid und Spott, Hohn mid Witz,
immer wieder die Klage nm die verlorcnc Mutter, die verlorene Heiniat, den
verlorenen Gott. Gynks Gespräch mik der Wolke, die zum Pecr anf gold-
hufigcm Roß wird, der Monolog im Rondegebirge traumhaft bildhaft, der
Dialog mit der fferbenden Mutter mid der Schliktenmärcheiitraiim anf ihrem
Bett (das ift Wcltdichtnng nordifcher Art!), der Monolog am Mcere in dcr
Wüffe (Nietzfches Prinz Bogelfrei-Heiterkeit voriveggeiiommen!), die Nacht
szene auf dem Schiff, die Grabredc für dcn Selbffverffümmler, der Monolog
mit der häutcreichen, kcrnlosen Ziviebel (norwegifcher Hamlet!), dic dämo
nifche Symbolgeffalt des Knopfgießcrs, die Heimkehrvision dies allcs ift
 
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