Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 15.1972

DOI Heft:
Nr. 3
DOI Artikel:
Kytzler, Bernhard: Zu Gast am Leningrader Lehrstuhl für Klassische Philologie: Bericht über den Besuch eines Berliners an der LGU
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.33065#0078

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
auch für die Studenten des Russischen und der Geschichte die Auflage, sich in dreiseme-
strigen Kursen mit den Grundbegriffen des Lateinischen vertraut zu machen. Diese ob-
ligatorischen Kurse werden erfreulicherweise in zahlenmäßig sehr kleinen Zirkeln, meist
unter 10 Teilnehmern, abgehalten. Es liegt auf der Hand, daß dadurch eine bemerkens-
werte Intensität des Unterrichtes gewährleistet werden kann; andererseits auch, daß
die Dozenten der Klassischen Philologie ein so verantwortliches wie umfangreiches Lehr-
programm zu bewältigen haben.
Für die weiteren Einzelheiten dieses Berichtes ist vorauszuschicken, daß am Lehr-
stuhl für Klassische Philologie der LGU sämtliche Kollegen gut deutsch verstehen und
die meisten es auch ausgezeichnet sprechen. So waren der Kontaktnahme keine Hinder-
nisse gesetzt. Dazu kamen zwei weitere Einzelzüge, die mithalfen, dem Besucher rasch
das Gefühl der Vertrautheit zu vermitteln. An der Tür des Seminarraums der Alt-
philologie wies ein Schild auf einen Vortrag hin, den ein Dozent des Lehrkörpers Mitte
Dezember vor einem Studentenzirkel halten würde; das Thema lautete: „Der Philologe
Wilamowitz“. Konnte sich so der Berliner Gast schon an der Tür indirekt angesprochen
fühlen durch solche Berufung auf den großen Gräzisten der alten Berliner Universität,
so wurde dieser Eindruck noch vertieft durch die erste Frage, die man mir stellte, kaum
daß ich vor der versammelten Runde der Lehrkräfte und einigen Studenten des letzten
Studienjahres Platz genommen hatte. Der dieser Aussprache präsidierende Kollege eröff-
nete das Gespräch mit der Frage: „Sie kommen zu uns von der Freien Universität aus
West-Berlin, und dort hat, wie wir wissen, Kurt von Fritz gelehrt und gewirkt, dessen
Werke wir gut kennen und sehr hoch schätzen - können Sie uns von ihm und seiner
Arbeit erzählen?“
Eine Frage, die ich mit ganz besonderer Freude vernahm - hatte doch Kurt von
Fritz zu meinen akademischen Lehrern gezählt und mir im Wissenschaftlichen wie im
Menschlichen bleibende Eindrücke vermittelt, von denen nun sprechen zu können mir
eine große Genugtuung war. Darüber hinaus gab die Frage Gelegenheit, nun auch von
der gegenwärtig am Seminar für Klassische Philologie der FU geleisteten Arbeit zu be-
richten und von den sie leistenden Kollegen zu sprechen, von der Anlage und der Aus-
gestaltung des Aristoteles-Archivs unter der Leitung von Paul Moraux ein Bild zu geben,
von weiteren wissenschaftlichen Plänen und Projekten zu referieren, von Ausbildungs-
gängen und anderen akademischen Angelegenheiten. Sehr rasch entwickelte sich ein
reger Austausch von Information, der gewiß für beide Seiten Anlaß zur Abklärung,
Anregung und auch Ausweitung des Wissens im Fachlichen wie in allgemein akademi-
schen Fragen wurde. Die zwei Stunden dieses ersten einführenden Gesprächsaustausches
vergingen nur allzu rasch.
Zu meinem Vortrag über „Utopisches Denken und Handeln in der Antike“ hatten
sich einige Tage hernach wiederum weniger die Studenten als vielmehr die Dozenten
des Lehrstuhls und auch verwandter Fächer eingefunden. Mein Bemühen, den ausländi-
schen Hörern das Verständnis durch deutlichen Vortrag und einfache Formulierung zu
erleichtern, wurde dankbar aufgenommen und auch in willkommener Weise honoriert:
durch eine rund einstündige Aussprache im Anschluß an den vorgetragenen Text, in
welcher nach der dort üblichen Methode in einem ersten Teil Sachfragen gestellt, in
einem zweiten eigene Stellungnahmen gegeben und wertvolle Hinweise und wichtige
Ergänzungen vorgeschlagen wurden. Der Besucher hatte wiederum Gelegenheit, die Ver-
trautheit seiner Leningrader Kollegen mit westlicher wissenschaftlicher Literatur zu be-
wundern; er verdankt ihren so offenen wie entschiedenen Stellungnahmen wesentliche
Korrekturen und Anregungen zu seiner Vorlage,.
Neben dem Gedankenaustausch in der Universität wurden erbetene Informations-
gespräche mit Spezialisten zu bestimmten Fachfragen bereitwillig vermittelt. So gab mir
im sog. „Faustkabinett“ der öffentlichen Bibliothek - die mit 17 Millionen Bänden die

22
 
Annotationen