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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 15.1972

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Nr. 4
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Heil, Günter: Zwischen Positivismus und Glossolalie: zur Misere einer Didaktik der alten Sprachen
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Hat Latein noch eine Chance?
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https://doi.org/10.11588/diglit.33065#0095

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nennt in „Anpassung oder Widerstand“ als Hauptrichtungen einer gymnasialen
Bildung die naturwissenschaftliche und die historische. Das historische Wissen
und der philosophische Horizont der meisten Bildungsplaner und Bildungs-
soziologen ist auf das 19. Jahrhundert beschränkt. Mit dem weiteren Schwund
der Allgemeinbildung, insbesondere der Sprachkenntnisse und des historischen
Überblicks auch bei Akademikern in Planungsgremien zeichnet sich - man ver-
zeihe den Ausdruck — eine Marktlücke ab. Die Erweiterung des menschlichen
Erfahrungsschatzes durch die Geschichte für die Praxis13, die Einsicht in die Ge-
schichtlichkeit als anthropologisches Phänomen auf Grund der Übersicht über
kontrastierende Kulturkreise, die besonders von den Griechen entwickelte Fähig-
keit, alle Einzelwissenschäften einschließlich der Naturwissenschaften in eine
jtQobxT] qpikoaoqpta zu integrieren, die Bedeutung der ayokf] für die Selbstver-
wirklichung des Menschen und anderes mehr kann der Altphilologe subsidiär
in die Bildungsplanung einbringen und eine kulturkritische Rolle übernehmen.
Für eine solche Funktion ist aber bei der bestehenden Studienorganisation weder
personell noch institutionell vorgesorgt. Das Instrumentarium dazu kann die
Philologie als isolierte Fachwissenschaft nicht liefern14. Solange nicht neue For-
men der fachüberschreitenden Kooperation zum Zweck des Transfers alter-
tumswissenschaftlicher Kompetenz in die Didaktik und Bildungsplanung ge-
funden sind, läuft alles einseitige Bemühen auf den Versuch hinaus, sich wie
Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Morast zu ziehen. Heil

Hat Latein noch eine Chance?
Auf ihrem Frankfurter Fachhochschulkongreß forderte die GEW die volle In-
tegration der Fachhochschulen in die Gesamthochschule. Abgelehnt wurde eine
Zweiteilung, nach der an Universitäten wissenschaftliche Studiengänge für
„Rezeptemacher“ und an Fachhochschulen „auf wissenschaftlicher Grundlage
basierende“ Studiengänge für „Rezepteanwender“ angeboren werden, verlangt
wurde die Aufhebung der Trennung von praxisorientierter und theoriebezogener
Ausbildung. Das Konzept der „voll emanzipierten Fachhochschule“ setzt nach
der Formulierung der GEW-Funktionäre die „Inflationierung“ der Zugangs-
berechtigungen für die Hochschulen voraus; danach wäre jede anspruchsvolle
Berufsausbildung der Gymnasialbildung gleichzusetzen. Die „offene Hoch-
schule“, zu der jeder Bürger Zugang hätte, müßte mit den Volkshochschulen und
den Ausbildungsstätten der Sekundarstufe II eng Zusammenarbeiten. Innerhalb
dieser Konzeption erfolgt der Abbau des „funktionslos gewordenen Herrschafts-
13 Vgl. von Hentig, a. a. O. S. 46 ff.
14 Fuhrmann a. a. O. S. 9 beginnt mit Bildungsansprüchen der Philologie („die Gegen-
wart erschließende Kraft“, „Kanon bedenkenswerter Gegenstände“, „Verantwortung
vor der gesamten Gesellschaft“) und endet bei Organisationsfragen des Wissenschafts-
betriebs. Auch in der Schwierigkeit, bei der Umorganisation der philologischen Fa-
kultäten zu Fachbereichen ihren Platz zu finden, zeigt sich die Unsicherheit der klas-
sischen Philologie in ihrem Selbstverständnis.

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