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Deutscher Altphilologenverband [Editor]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 25.1982

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Nr. 4
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Waiblinger, Franz Peter: Die unwiderstehliche Vernunft: In der Bildungsdiskussion: zurück oder vorwärts zu Humboldt?
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https://doi.org/10.11588/diglit.33081#0061

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Die unwiderstehliche Vernunft
In der Bildungsdiskussion: zurück oder vorwärts zu Humboldt?
Im Februar des Jahres 1809 wurde Wilhelm von Humboldt vom preußischen
König zum Direktor der Sektion des Kultus und öffentlichen Unterrichts im
Ministerium des Innern ernannt. Was er in den sechzehn Monaten seiner Amts-
zeit in Bewegung brachte, könnte jeden Kultusminister von heute neidisch ma-
chen. Seitdem schlägt Humboldts Handschrift im Palimpsest der Bildungsplaner
immer wieder durch, auch wenn manche seiner Ideen nur noch in entstellter
Form sichtbar sind.
Mit welchem Elan Humboldt die Reform des preußischen Bildungswesens in
Angriff nahm, zeigt ein Brief an Friedrich August Wolf, den berühmten Philolo-
gen. „Je mehr ich hineinkomme“, heißt es da, „desto mehr sehe ich ein, daß
meine Vorgänger eigentlich von dem Umfang des ihnen anvertrauten Geschäfts
keinen Begriff hatten. Sie dachten nicht einmal daran, sich Mitarbeiter zu schaf-
fen, und Stellenbesetzungen und meist noch sehr kleinliche Geldarrangements
war alles, worauf sie sich einließen. Damit allein aber ist wenig getan. Es muß
Einheit in den Bestrebungen und ein guter lebendiger Geist herrschen; es müssen
Grundsätze festgestellt, ausgeführt und durch die Ausführung selbst wieder be-
richtigt werden, und darum kommt es erstaunlich darauf an, nicht die krummen
und einseitigen Ansichten eines einzelnen, sondern das gemeinschaftliche Nach-
denken mehrerer an die Spitze zu stellen.“
Grundsätze der Reform
„Darum behandle ich mit jeden Tag die Sektion mehr als Sektion, räume, ohne
es auszusprechen, der gemeinschaftlichen Meinung den Vorzug vor der einzel-
nen, selbst der meinigen, ein, und vertilge, so viel ich kann, das fatale ehema-
lige Ministerwesen, wo man nur den Einzelnen als allmächtig für sein Fach an-
sah und seine Räte höchstens als Leute betrachtete, die das Recht hatten, in
den Wind zu reden. Sehr natürlich waren denn auch diese Räte von einem Geist
beseelt, wie wir ihn gekannt haben. Jede Meinung war modifiziert durch den Ge-
danken, ob sie auch bei dem Chef ausführbar sein werde (...). Darum aber, lie-
ber Freund, liegt mir nun auch so sehr daran, die Kollegien, mit denen ich ar-
beite, so gut als möglich zu machen, was zwar vorzüglich von den Personen,
aber auch sehr viel und fast mehr von dem Geist abhängt, den man wirklich mit
nicht schwerer Mühe, sobald man sich nur über Äußerlichkeiten und Egoismus
hinwegsetzt, hineinbringen kann. Sowie ein Mensch fühlt, daß seine Stimme gilt,
ist es ihm mehr Ernst um die Sache und handelt er selbst wenigstens mit voller
Kraft.“
Frischer Wind weht auch aus dem Königsberger und dem Litauischen Schul-
plan von 1809, in denen Humboldt die Grundsätze der Reform entwickelt und
die institutionelle, personelle und finanzielle Durchführbarkeit seiner Ideen bis
in kleinste Einzelheiten hinein darlegt.

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