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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 31.1988

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Nr. 3
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Buchbesprechungen
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Baumgarten, Hans: Gegendarstellung (zu 2/88)
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https://doi.org/10.11588/diglit.35869#0093

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Die Bemerkung zum Tempus- und Modussystem des Deutschen (S. 42 f.) sind trefflich, zeigen je-
doch wieder eine Nichtbeachtung der Adressaten und eine Überschätzung der Möglichkeiten ei-
ner Lateingrammatik. Mir war auch vorher bekannt, daß das Deutsche sehr viel differenzierter
gebaut ist, als in den Parallelübersetzungen neben den Beispielsätzen verlautbart werden und
erst recht in Tips für 10- bis 13-jährige Kinder zum Ausdruck gebracht werden kann. Der enge
Rahmen einer lateinischen BGr bietet den Eigentümlichkeiten der deutschen Grammatik leider
nicht mehr Raum. A. Müller scheint das irgendwie selbst zu ahnen, wenn er sagt (S. 43): ,,Das
werden nicht die einzigen Schwierigkeiten bei der Klärung des Kunjunktivs sein." — Gesehen
hat er leider nicht, daß die BGr überall mit einem didaktisch-methodischen Ansatz an ihre Aufga-
be herangeht. So liefert die Übertragung lateinischer Partizipialkonstruktionen bekanntlich je-
dem Übersetzer das Feld, auf dem er seine Kunst bewähren kann. Wenn es sich jedoch um Latei-
nunterricht der Klassen 7 bis 9 handelt, kann der Lehrer jedes Partizip zum Anlaß nehmen, die la-
konische Signallosigkeit des Lateinischen kontextbezogen ausdeuten zu lassen und der gramma-
tischen und interpretatorischen Phantasie wie der stilistischen Geschicklichkeit der Schüler Aus-
lauf zu gewähren. Er muß diese Forderung stellen, um die nötige Förderung zu bieten. Lateini-
sche Partizipien wortwörtlich mit deutschen Partizipien reproduzieren — wer könnte das nicht?
Es hieße aber, die Blüten noch in der Knospe wegzuwerfen. Dem knörigen Satz ,,Niemand kann
sagen, weiche gedankliche Fügung Caesar a Gaf/fs vocatus hat" (S. 44) muß ich entgegenstellen:
„Jeder Schüler soll überlegen und darlegen, welche gedankliche Fügung Caesar a Ga//fs vocatus
haben kann." Das heißt, mit dem Pfunde wuchern.
Ich kann mich nun kurz fassen. Denn die Kritik enthält nur wenig, was nicht nur versehentlich
falsch dargestellt ist. „Obwohl die Frauen traurig waren, verließen sie den Flafen wieder (§ 168)
(S. 44). Dies Pronomen sfe auf die Frauen beziehen und also mißverstehen kann nur, wer A. Mül-
lers Zitat traut; die BGr ist an der inkriminierten Stelle richtig und deutlich: ... „kehrten die Kauf-
leute zurück. Obwohl ihre Frauen traurig waren, verließen sie den Hafen wieder." — Das Prae-
sens historicum ist natürlich nicht abgeschafft (§ 184) (S. 43). Der angeblich nicht vorhandene
Überblick über die Satzglieder (S. 42) steht ganz vorn im Buch (noch vor § 1). Die Konjunktiv-
funktionen adhortativus und iussivus werden den Schülern mit diesen Bezeichnungen vorge-
stellt, weil dies die traditionelle und im Lande gebräuchliche Terminologie ist (§ 90). Die BGr hat
hier weder „den Terminus geändert" noch eine „subtile Unterscheidung" neu getroffen (S. 43).
Das weiß auch A. Müller. Und wer in dem frommen Wunsch Studium nostrum deae gratum sid
die Gefahr einer „Blasphemie" wittert (S. 43), macht sich lächerlich.
/s porfus et id oppidum, die in ihrer Isolierung unverständlich sein sollen (S. 44), sind im Lehr-
buch (I 26 A I) tatsächlich auf vorher Erzähltes bezogen. In der BGr (§ 100) wird nun wie immer
das Lehrbuch zitiert, wobei der Kontext mit seinen 4 Zeilen zwar weggekürzt ist, jedoch mit der
Summe der durch und ;'d referierten Daten jedem Schüler gegenwärtig bleibt. Es ist für den
Zweck dieser Kritik zumindest geschickt, die ständige Bezugnahme der BGr aufs Lehrbuch zu
unterschlagen und nun zu sagen: „Aber darüber fällt kein Wort."
Nach dem Satz (überfs, ea, (d): „Als Demonstrativpronomen weist es auf etwas besonderes hin"
(S. 44) schließt man sich wirklich verwundert A. Müllers spitzer Frage an: „Was ist das: 'etwas be-
sonderes'? Eine Wortart, ein Satzteil?" Ich jedenfalls gestehe eine gewisse Irritation bei dem Blick
auf den Unsinn ein, den ich da vertreten sollte. Dann habe ich § 100 doch lieber noch einmal
nachgelesen und dort gefunden: ,A!s Demonstrativpronomen weist es auf etwas besonders hin."
Also „besonders", nicht „besonderes". Der Unsinn ist ein Wechselbalg. — Pflicht einer ehrli-
chen Kritik ist, so sollte man meinen, korrekt zu zitieren.
Zwei wichtigere, aufschlußreichere Gesichtspunkte seien am Schluß erwähnt. An mehreren Stel-
len der Kritik wird deutlich, daß A. Müller vom Standpunkt der Konstituentengrammatik urteilt.
Diese Grammatiktheorie hat weitreichende wissenschaftliche Erkenntnisse geliefert und kann ge-
wiß auch im Unterricht fruchtbare Lernprozesse stiften. Nur sollte man sie nicht generell zum
Maßstab monopolisieren und nicht ein Buch, das nach einer anderen Theorie konzipiert ist, wie

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