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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0058

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31 Methodik und Quellenkorpus

57

solle in der Nacht stattfinden, dürfte vor geprägte Bilder der unsicheren Dun-
kelheit und der Schutzlosigkeit gegenüber zwielichtigen Gestalten des ,Mi1i-
eus der Nacht' bei den Zeitgenossen abgerufen habend Derartige Topoi sind
Teil des mMgÜMire und können flexibel eingesetzt werden, um beim Leser
bestimmte Assoziationen und Emotionen auszulösen. Für den Historiker sind
sie wiederum ein wichtiges Indiz, um den Vorstellungswelten der Zeitgenos-
sen näher zu kommen. Topoi und Stereotype sind also nicht bloß formelhaf-
ten Wendungen, sondern sie können selbst Wirkmacht entfalten: Die stereo-
typen Vorwürfe, die man im 14. und 15. Jahrhundert mit Soldaten verband
(Plünderungen, Vergewaltigungen, Morde), zielen größtenteils auf bereits im
Rahmen der Gottesfriedensbewegung angeprangerten Praktiken, die später
auch von der weltlichen Obrigkeit verboten wurden. Als eindeutig kriminali-
sierte Vergehen konnten sie dann wiederum literarisch auf Gruppen projiziert
werden, um diese auszugrenzen und zu disqualifizieren/" Ebenso ist die
Wirkung und Bedeutung von Gerüchten einzuschätzen, die auf Ängste (zum
Beispiel vor eben jenen plündernden und mordenden Soldaten) anspielen
und durch die Thematisierung der möglichen oder wahrscheinlichen Übelta-
ten die moralischen Grundsätze benennen, die durch die befürchtete Gefahr
als bedroht gesehen wurden/" Dies bedeutet keineswegs, dass derartige Taten
nicht tatsächlich begangen wurden und ihren Niederschlag in den Quellen
gefunden haben, sondern nur, dass sie nicht in sachlicher Protokollform über-
liefert wurden und dass gezielt mit ihnen argumentiert wurde. Beim Bourgeois
de Paris etwa vermischen sich die in Paris im Umlauf befindlichen Gerüchte
um herannahende Truppen mit der stereotypen Erwartungshaltung, welche
Untaten sie begehen würden, zu Passagen, die den Charakter von exempi%
habend" Sie illustrieren einerseits beispielhaft die Ängste und die gefühlte
Unsicherheit der Zeitgenossen, schüren diese aber andererseits wiederum
durch die Drastik ihrer Schilderung.^ Gesellschaftliche Verunsicherung, ob-
rigkeitliche Reglementierung und narrative Dramatisierung greifen so inei-
nander.

312 Quellenkorpus
Um das Phänomen der Gewalt aus möglichst vielen Perspektiven beleuchten
zu können, liegt dieser Arbeit ein breites Quellenkorpus zugrunde, das sich

LMrs mH;'so?!s,phsß?!f scmFLuf & Ls mcucr CM prison; weis OM Ls CMsQ'ULz CM L n'uLrc, d/hf woMn'r
sccrULmcMf. Juvenal des Ursins, Histoire, S. 490.
38 Unter dem Titel „Das Milieu der Nacht" untersuchte Frank Rexroth in seiner Habilitations-
schrift Randgruppen im spätmittelalterlichen London; vgl. Rexroth, Milieu, bes. S. 62-72.
39 Gauvard, Grace espedal, S. 524-553, 730, 855; Gauvard, Rumeur [2000], S. 281-291; Gauvard,
Rumeur [1994], S. 159f.
"o Beaune, Les Monarchies medievales, S. 175; Gauvard, Rumeur [1994], S. 169-177.
4i Siehe dazu: Bremond/Le Goff/Schmitt, Exemplum, bes. S. 36f. Siehe auch Beaune, Rumeur.
43 Siehe z. B. die Analysen von Bove, Violence, sowie Guenee, Religieux, S. 331-340.
 
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