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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0070

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1111 Voraussetzungen:
Perspektiven auf Gewalt

Non occNes - das fünfte Gebot des Dekalogs (Gen 20,13 beziehungsweise
Dtn 5,17) mag als christliches Gebot so selbstverständlich sein, dass es in den
für diese Arbeit gesichteten Quellen gar nicht auftaucht.' Es wurde jedoch
kaum als absolutes Tötungsverbot angesehen, wie allein die skeptische Be-
trachtung Alains de Lille (+ 1203) zeigt, einige Ketzer und Feinde der Kirche
würden mit Verweis auf den Dekalog die Meinung vertreten, man dürfe in
ANnem Fall und aus fernem Grund einen Menschen tötend Einen derart konse-
quenten Pazifismus, so Haines, habe es im Mittelalter kaum gegeben und
wenn, dann sei er schnell verketzert worden/ Gewaltausübung etwa zwar
individuellen Selbstverteidigung war nach Augustinus (+ 430) legitim, auch
wenn immer zwischen dem Schutz der eigenen Person oder der eigenen Gü-
ter und dem neutestamentarischen Friedensgebot abgewogen werden solltet
Der individuelle Verstoß gegen das Tötungs verbot war justiziabel/ das
organisierte Töten im Krieg aber war auch für christliche Herrscher unaus-
weichlich (zum Konzept des Mümz ZMshtm siehe S. 84 und 140). Die christliche
Herleitung der Herrschaft setzte notwendigerweise beim Sündenfall an, denn
dieser habe den paradiesischen Urzustand der Schöpfung beendete Aus dem
Sündenfall wurde Herrschaft auf zwei Arten abgeleitet: Einerseits konnte sie
als Akt göttlicher Fürsorge verstanden werden. Statt die Menschheit zu ver-
dammen, habe Gott die Obrigkeit eingesetzt und ihr die irdische Verantwor-
tung für das menschliche Zusammenleben übertragen. Herrschaft erscheint
folglich als grundsätzliche Notwendigkeit jeder menschlichen Gesellschaft/
Andererseits konnte irdische Herrschaft auch als Strafe Gottes interpretiert

1 Dazu Gaudemet, Non occides. Zur Frage der theologischen Deutung Groß/Wimmer, Nicht
töten, S. 140. Zum Widerspruch zwischen christlichem Tötungsverbots und Kriegsführung sie-
he Nicholson, Medieval warfare, S. 23-28.
2 AssorMMf chaw pracdich /Morchel, of Dostes PcclosMO, in mdfo casM of rndfa occasfoMO, MMffg CHMsao
raffoMO, f?ow;'Mow esse occfdoM^MW. DicMMf onim DoMW proMhdsse f?ow;'c;d;'MW, dicens in lege; Non
occides. Alanus ab Insulis, Opera omnia, Sp. 394a (De/ide cctdodcc confrc daereh'cos , Kap. XX).
Vgl. dazu Evans, Alan of Lille, S. 116-132; Haines, Attitudes, S. 376. Zu Alain de Lille siehe
Evans, Alan of Lille, S. 1-14; Hödl/Silagi, Alanus ab Insulis.
^ Haines, Attitudes.
^ Augustinus, De civitate Dei, Bd. 2, S. 671f. (XIX,7). Siehe dazu Brachtendorf, Augustinus, bes.
S. 239f. und 245; Führer, Krieg; Steiger, Bellum iustum, S. 99-102; Hertz, Thomasische Lehre,
bes. S. 20f.
^ Siehe dazu Gauvard, Grace especial, S. 14f. und 44.
6 Siehe dazu Stürner, Peccatum, zusammenfassend bes. S. 264—271. Siehe auch Schwer, Stand,
S. 33-42. Wöhler, Legitimation, S. 300, betont, dass Herrschaft und Gewaltausübung als zu-
sammenhängend empfunden wurden.
2 Besonders prägnant wurde diese Position von Friedrich II. in seinen Konstitutionen von Melfi
vertreten: Die Konstitutionen Friedrichs II., S. 145-148, bes. S. 147. Siehe dazu Oevermann,
Charismatisierung; Stürner, Peccatum, S. 181f.; Stürner, Rerum necessitas.
 
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