Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0072

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
71

nander an.^ Bei der Frage nach zeitgenössischen Vorstellungen scheint es
einerseits legitim, sich von diesem idealtypischen Ordnungsmodell ein Stück
weit leiten zu lassen. Andererseits erscheint die statische Gliederung in drei
funktionale Gruppen jedoch als zu ungenau und muss weiter differenziert
werden: BeHafotrs waren nicht mehr nur Adlige, sondern eine breite Gruppe
von am ritterlichen Ethos orientierten Kriegern^. Dazu kamen zunehmend
Söldner, für die der Krieg zum Lebensunterhalt und -inhalt geworden war
und damit einen Selbstzweck erfüllte. Auch hatte sich neben dem traditionel-
len Klerus eine Gruppe gut ausgebildeter ,Intellektueller'^ gebildet, die den
König berieten und selbständig über die Zeitläufte räsonierten.
Es geht im folgenden Kapitel nicht darum, verschiedenen Gruppen spezi-
fische Sichtweisen zuzuordnen, sondern Argumentationsmuster offen zu
legen. Nicht jeder Adlige mag ein ritterlicher Krieger gewesen sein, aber eine
kriegerisch-bejahende Perspektive auf Gewalt lässt sich in den Quellen immer
wieder nachweisen. Wenn also im Folgenden von einer ,ritterlichen' Perspek-
tive die Rede ist, ist nicht die ständisch-professionelle Herkunft des Autors
oder Sprechers gemeint, sondern der geistige Horizont, in dem eine Aussage
zu verorten ist. Beispiele und Belege hierfür können sowohl expliziten Bewer-
tungen oder Kommentaren eines Autors entstammen, als auch Äußerungen
sein, die einer bestimmten Person oder Gruppe zugeschrieben wurden und
damit als plausibel galten. So lässt Jean Froissarts Chronik eine starke ritterli-
che Prägung erkennen (obwohl Froissart selbst kein Ritter war), bietet aber
auch Einblicke in andere Perspektiven, die z. B. eher theologischem Denken
entspringen.
Die Gliederung in fünf Unterkapitel ist Ausdruck des Möglichen, nicht des
Wünschenswerten. Die größte Gruppe der Bevölkerung, Bauern, Landarbei-
ter und deren Familien, kann kaum in ihrer Einstellung zur Gewalt erfasst
werden, weil sich die Quellen größtenteils über sie ausschweigen. Auch eine
angemessene Berücksichtigung von potentiellen Unterschieden zwischen
Jugend und Alter, Frauen und Männern und vielen anderen denkbaren Kate-
gorien erscheint leider kaum möglich.^

i3 Siehe dazu auch Contamine, Noblesse, S. 3-6.
ii Ich folge hier bei der Begriffswahl Kortüms, der den Begriff des „Kriegers" als Bezeichnung für
alle Kriegsteilnehmer vorschlug, die der Anspruch auf Sold eine. Der Terminus „Ritter" dage-
gen beinhaltet die Zugehörigkeit zu einer sich als Elite begreifenden Sondergruppe mit eigenen
Wertvorstellungen, vgl. Kortüm, Kriege, S. 119-122.
i3 Beim Begriff „intellektuell" lehne ich mich an Le Goff an, ohne allerdings seinen engen Fokus
auf die universitäre Welt zu übernehmen, vgl. Le Goff, Intellectuels, S. 3-5.
i3 Auch Gauvard, Grace especial, S. 299, betonte trotz der breiten Quellenbasis der Lehms de
remissioM das Problem, eine weibliche Perspektive präzise beschreiben zu können. Dei-
mann/Hiltmann, Gewalt, S. 434f., argumentieren, Gewalt sei eine geschlechtskonstitutive, nicht
geschlechtsspezifische Eigenschaft gewesen: Gewalttätige Frauen hätten Männerrollen über-
nommen, gewaltlose Männer Frauenrollen. Siehe auch Braun/Herberichs, Einleitung, S. 24.
 
Annotationen