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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0107

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106

1111 Voraussetzungen

Gewalterfahrungen
Die Wirkung des Krieges auf die Bevölkerung wurde von vielen Autoren in
ähnlichen Bildern beschrieben: Die Krieger verwüsteten das Land, plünder-
ten, legten Brände, erpressten Lösegelder, vergewaltigten Frauen und ver-
schleppten Männer und Kinderd Diese Formulierungen mögen stereotyp
sein, ziehen ihre Glaubwürdigkeit jedoch aus der engen Anlehnung an die
Lebensumstände eines Großteils der Bevölkerung. In zahllosen Prozessen
und Begnadigungsbriefen lässt sich die Wirkung des Krieges auf das Alltags-
leben der Menschen nachvollziehend Das Volk war den überlegen bewaffne-
ten und ausgebildeten Kriegern wehrlos ausgeliefert/ klagte sein Leid wie-
derholt dem König, sah häufig aber keinen Ausweg außer der Flucht - sei es
in Städte, in der Hoffnung auf Schutz oder eher hoffnungslos in die Wälder,
denn schließlich hatten auch die Städte unter den Plünderungszügen zu lei-
den/ Die Armagnacs seien 1434 raubend und mordend bis vor die Tore von
Paris gezogen, so der Bourgeois. Keiner der Adligen aber habe sich bemüht,
dem Krieg ein Ende zu setzen, denn sie hätten ihre Kämpfer nicht bezahlt
und diesen so keine andere Möglichkeit gelassen, als zu morden und den
Menschen Geld abzupressen/
Der Bourgeois unterschied hier präzise zwischen Ursache und Wirkung.
Das primäre Problem der Bevölkerung, die zahllosen Plünderer, sah er nur
als Ausdruck eines größeren Übels, für das er die Fürsten verantwortlich
machte: Diese täten nichts (der Boiirgeois spricht hier die fehlenden Soldzah-
lungen an), um die Lage des Landes zu verbessern. Bemühte sich letztlich
doch ein Adliger, eine von Briganten besetzte Burg zurückzuerobern, so wur-
de diesen schließlich erlaubt, unbeschadet und mit freiem Geleit abzuziehen,
wie der Chronist der C/irohiijMe ifife de /een de Venehe klagte:
„Diese fuhren alsbald fort, wie gehabt die Menschen zu berauben und
zu plündern. Eine seltsame Sache! Die Unsrigen hätten sie als Beispiel

^ Froissart, Chroniques (SHF), Bd. 7, S. 250 (1,666); Monstrelet, Chronique, Bd. 3, S. 9; Journal
d un Bourgeois, S. 77 (§100); Chronique des quatre premiers Valois, S. 71; Chronique dite de
Jean de Venette, S. 176. Vgl. zu diesen Gewaltstereotypen auch S. 418-427 dieser Arbeit.
' Siehe z. B. die Lehre de remissioM für die Bewohner von Cravant (1359), die sich gegen Plünderer
zur Wehr gesetzt hatten: Paris, AN, JJ 86, fol. 148^-148'' (Nr. 424). Gabriel Carre erschlug 1487
einen Briganten in Notwehr: JJ 217, fol. 5'-5'' (Nr. 8). Etienne Hervy bat 1423 um Gnade, weil er
nach mehrmaliger Lösegeldzahlung völlig verarmt war und selbst zum Dieb wurde: JJ 172,
fol. 155'-156'* (Nr. 307), ediert in Paris pendant, S. 103f. Siehe dazu auch Minois, Guerre de cent
ans, S. 447-457; Gauvard, Grace especial, S. 529-553.
6 VaiereMi sicMf prins iMuiMcddha arma sna coMha agresfes accoias resisfeMcia eareMies excercere, ipsos
sohfo grauins oppriwicndo. Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 154. Siehe auch Chronique dite de
Jean de Venette, S. 256, 285.
' Klagen an den König: Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 198-202; Monstrelet, Chronique, Bd. 2,
S. 95f. Flucht in Städte: Journal d un Bourgeois, S. 29 (§ 1), 7f. (§ 11), 38f. (§ 16) 144-146 (§ 256);
Monstrelet, Chronique, Bd. 5, S. 39. Zur Flucht in Wälder: Journal d un Bourgeois, S. 178 (§329).
Vgl. dazu Schnerb, Armagnacs, S. 289.
s CcMX sc disaieMf PraM^ais (...) eoMraieMi foMS Ls JoMrs jMS^M'aMX porfes de Paris, pdiaieMf, fMaieMf
dommes, ponr ee tpCa M:d des seigMenrs ne edadah de wehre ia gnerre a/;*M, ponr ee t?Me ieMrs sondoi/er
podh ne pai/aieMf ei tphds M'auaieMf a:hre edose t?Me ee tphds emdddeMf eM inaMi, eM preMaMf dommes de
io HS efafs,^emmes, cn/ans. Journal d'un Bourgeois, S. 331f. (§ 644).
 
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