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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0112

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41 Städtisch-problematisierend

111

Feinde in die Flucht schlagen würde. Dies sei aber nicht der Fall und so wür-
de man wegen des andauernden Leids die Geduld verlieren. Doch der Adel
erfüllte in den Augen des Volkes nicht nur seine Aufgabe nicht, sondern
wandte sich zudem noch gegen das VotkA Gegenüber derart geballter Waf-
fengewalt aber war das Volk wehrlos: „Alles ist Beute, was das Schwert nicht
verteidigt."^ Damit stand die eigentliche Ordnung Kopf und die gesellschaft-
lichen Normen waren ins Gegenteil verkehrt.
Traut man der literarischen Umsetzung Chartiers, beurteilte auch die Be-
völkerung die Realität des Krieges anhand übergeordneter Norm Vor-
stellungen. Folglich konnte das, was man tagtäglich erfuhr, kein Krieg sein:
Da dieser zur Ordnung der Welt gehörte, wurde das potentiell durch ihn
verursachte Leid als erträglich imaginiert. Der jetzige Alltag musste also an-
ders gedeutet werden:
„Was rede ich von Krieg? Es ist kein Krieg, der in diesem Reich wütet,
sondern es ist private Räuberei, maßloser Diebstahl, öffentliche Ge-
walt unter dem Deckmantel der Waffen, unrechtmäßiger Raub, den
ein Mangel an Rechtsprechung und guter Ordnung ermöglicht ha-
ben."^

Die Perspektive des ,Volks' bei Chartier war stark normativ und ähnelte in
der paradigmatischen Gegenüberstellung von Recht und Ordnung bezie-
hungsweise Unrecht und Unordnung der Zeitkritik der Intellektuellen (vgl.
Kap. 111.5) A Chartier suggerierte damit, dass das Volk klar zwischen französi-
schen Adligen (welche die ihnen anvertraute Aufgabe nicht erfüllten) und
den Feinden differenzierte. Vergleicht man diese Sicht mit Chroniken und
Rechtsquellen, muss genau dies jedoch bezweifelt werden. Gerade weil ihre
Geduld am Ende war, gerade weil sich die eigentlichen Beschützer in den
Augen der Bevölkerung in ihrem Tun nicht von den Feinden unterschieden,
schien der Bevölkerung recht gleichgültig gewesen zu sein, wer sie bedrückte.
Sie setzte sich gegen französische Truppen ebenso zur Wehr wie gegen engli-
sche^ und wandte sich mitunter auch gegen Steuerei ntreiberA Auch bei der

33 Vgl. Wright, Knights, S. llf.
34 ToMf esf proi/e ee t?Me ie giaiue OM i'espee ne de/end. Chartier, Quadrilogue, S. 27.
33 Qne gppeiie Je gnerre? Cr Aesf pas gnerre tpd en er roi/HMme se mai/ne, c'esf Mne priuee [Lesarten;
pnre, poure] roivrie, MMg iarreein dA^Mdonne, p:ddi^Me so:Az Mmi^re d'armes et uioienfe rapine
^MeA:dfe de jHshee et de Annfe ordonnnnoe/At estre ioisAies. Ebd., S. 27. Ähnlich findet sich diese
Unterscheidung auch bei Bonet, Arbre, S. 211 (IV,102).
36 Konkret stellt das ,Volk' uioienee und droit, sowie OMtreeMidanee und uerite in Opposition; Char-
tier, Quadrilogue, S. 48.
37 Lettre de remission für Jean Flageolet, Juli 1359, Paris, AN, JJ 90, 149'-150' (Nr. 292), ediert bei
Luce, Histoire, S. 293f. (Nr. 46); Lettre de remission für die Bewohner von Cravant, Januar 1359,
JJ 86, fol. 148f-148v (Nr. 424), ediert ebd., S. 286-288 (Nr. 42); Lettre de remission für die Bewoh-
ner von St. Marsal, April 1363, JJ 93, fol. 88 (Nr. 222); Lettre de remission für die Bewohner von
Montgiscard, April 1363, JJ 93, fol. 117 (Nr. 284); Lehre de remission für Jehan Theront, August
1377, JJ 111, fol. 83f-83v (Nr. 161); Lehre de remission für Robin Boyer, Juli 1415, JJ 186, fol. 183'-
183' (Nr. 282); Lehre de re Mission für Colin Michel, März 1423, JJ 172, fol. 294' (Nr. 528), ediert in
 
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