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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0197

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196

IVI Problematisierungen

offensichtlichen Missachtung traditioneller Tabus, wie durch Angriffe auf
Adlige und Kleriker oder auf königlichen Besitz. Der Bourgeois dagegen hatte
aus eigener städtischer Erfahrung vor allem das Problem der Nahrungsmit-
telversorgung im Blick, so dass ihm der Hinweis auf das verhungerte Vieh als
Vorbote weiterer Teuerungen diente. Darüber hinaus beschrieb er generalisie-
rend durch eindrückliche Schreckensbilder, wie die Ecorc/tours durch ihre
Taten die Regeln des üblichen Soziallebens verletzten: Sie ließen sogar Säug-
linge entführen und ungetauft sterben, Kinder sperrten sie in Kisten und lie-
ßen sie dort verhungern, wenn sie nicht für hohe Summen freigekauft wür-
den; Adlige würden in dieselben Kisten gesperrt und ihre Frauen darauf ver-
gewaltigt, wenn diese nicht genug Geld zahlten.^
Die drastischsten Schilderungen finden sich in den Aussagen, die durch
die burgundische Verwaltung unter den Betroffenen gesammelt wurden
Die Befragten berichteten ihr Leid in knappen Sätzen und bezifferten am En-
de zumeist recht genau ihre Verluste, womit zugleich die Ausrichtung der
Aussagen auf mögliche Kompensationen deutlich wi rd Entsprechend
wurde die erlittene Gewalt in der Erzählung meist umgehend mit einem be-
zifferbaren finanziellen Schaden verknüpft: Nicholay Chaude berichtete, wie
ihm bei der Folter der Rücken verbrannt worden sei und fügte nahtlos an,
dass er danach zehn Wochen im Bett habe liegen müssen - weder zum Zeit-
punkt der Befragung noch jemals in Zukunft werde er sein Brot selbst verdie-
nen können A? Den Hinweis auf seine Berufsunfähigkeit brachte der Geschä-
digte wohl in der Hoffnung auf finanzielle Hilfe durch den Herzog vor.
Trotz ihres auf Entschädigungszahlungen abzielenden Charakters können
diese Schilderungen nicht unglaubwürdig gewesen sein, denn derartige kör-
perliche Wunden und Beeinträchtigungen waren leicht zu überprüfen. Somit
dürften diese Aussagen zwar keine verallgemeinerbaren, aber doch zuverläs-
sige individuelle Einblicke in das bieten, was von einer Gruppe Ecordicurs
schlimmstenfalls zu erwarten war. So wurde etwa ein dreijähriges Kind
durch Schläge getötet. Gefangene geschlagen, gefoltert, gekreuzigt oder sogar
über Feuer teilweise verbrannt.^ So verstörend sich diese Schilderungen

sehen Zugehörigkeit angegriffen: Chronique normande de Pierre Cochon, S. 302; Les chroni-
ques du Roi Charles VII, S. 198.
334 Journal d un Bourgeois, S. 399f. (§792-794).
335 Siehe Tuetey, Ecorcheurs, Bd. 2, S. 299-380; sowie die Ergebnisse einer weiteren burgun-
dischen Untersuchung durch Jehan Barbet und Nicolas Rochereaul (1444): Documents inedits
pour servir a l'histoire de Bourgogne, S. 448-469.
336 Durch den Vergleich der Wertangaben bekommt man einen Eindruck für die eng an land-
wirtschaftliche Verhältnisse gebundene Auffassung von Werten: Ein Mann konnte sich für ein
Lösegeld zwischen 1 und 4, seltener für 8 oder 10 SHÜd d'or freikaufen, ein Ochse oder Schwein
kostete meist 1 SHÜd d'or, Kühe waren etwas teurer, Pferde deutlich teurer (2-3 bzw. 6-9 SHÜd
Tor). Vgl. dazu Grill, Grandes Compagnies, S. 47.
337 RUf U roüssoroMf coMüo io^ÖMl fodomoMf (?M'd OMsf io dos foMS ard, of io sai/M i/ssoii de soM oorps, per
iotjMoi roiissowoMi i/ osi Non domoMro X sopmaiMos HM iii, of OM osi OMOoiros OM ioi osiai (?Mop!MMis fHMf
t?M0 uiurH, MO so poMUH iwMMomoMf Hidior MO gaigMor SOM p<MM. Tuetey, Ecorcheurs, Bd. 2, S. 371.
338 Tötung durch Schläge: Ebd., Bd. 2, S. 364. Folter: Documents inedits pour servir ä l'histoire de
Bourgogne, S. 455f.; Ebd., S. 356f. Kreuzigungen: Ebd., S. 361-363. Verbrennungen: Ebd., S. 364,
371.
 
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