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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0237

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236

IVI Problematisierungen

standen zu erklären, was er schließlich in einem Brief vom 13. Juni tat: Entge-
gen aller Gerüchte, so Ludwig, „waren und sind wir damit sehr zufrieden."^
Indem sie die Praktiken obrigkeitlichen Strafens imitierten, machten die
Aufständischen deutlich, dass sie sich im Recht sahen. Die missliebigen Ver-
räter' wurden nicht einfach insgeheim getötet, sondern man beharrte darauf,
sie mit Billigung der Obrigkeit der regulären Strafe für Verräter zuzuführen.
Ihre öffentliche Hinrichtung entsprach genau dem Strafritus, den auch die
Obrigkeit für Verräter anwandte (vgl. dazu S. 326-331).
Vor diesem Hintergrund erscheint die Tötung der zwei Marschälle am
22. Februar 1358 durch Etienne Marcel und seine Begleiter umso problemati-
scher: Die Aufständischen hatten den Palast des Dauphins Karl (V.) gestürmt
und vor dessen Augen die auch hier als Verräter' angesprochenen Adligen
getötet - also gerade nicht öffentlich und für alle sichtbar. Das weitere Vorge-
hen Marcels zeigt, wie sehr die Akzeptanz derartiger Gewalt an die Befol-
gung etablierter Formen des Strafens gebunden war. Um die fehlende Öffent-
lichkeit der Tötungen auszugleichen, wandte sich Marcel an die vor dem Pa-
last versammelte Menge und „sagte ihnen, dass die Tat, die begangen wurde,
für das Wohl des Reiches begangen wurde und dass die Getöteten falsch,
schlecht und Verräter waren."8" Er drängte dann den Dauphin, sich durch die
demonstrative Übernahme des Erkennungszeichens der Aufständischen,
einer blau-roten Kopfbedeckung, mit diesen solidarisch zu erklären. Nach-
träglich setzte er dann die Leichen der Marschälle den Blicken der Menge aus,
womit ihr unehrenhafter Tod veröffentlicht' wurdet' Auch dies war ein übli-
ches Vorgehen der Obrigkeit, das wenige Wochen später auch Etienne Marcel
selbst widerfahren sollte (vgl. Abb. 2, S. 434).
Die strukturellen Mechanismen, die hier exemplarisch für die Aufstände
von 1358 und 1413 ausführlicher vor gestellt wurden, wiederholen sich in
nahezu allen spätmittelalterlichen Aufständen. So kann auch die Befreiung
von Gefangenen im Rahmen von Aufständen als Korrektiv der obrigkeitli-

79 No HS OM auoMS es io of sowiwios fros ooMfoMS. Brief des Dauphins vom 13. Juni 1358: Paris, BnF, ms.
fr. 26039, Nr. 4767, ediert in Correspondance de la mairie de Dijon, Bd. 1, S. 16f. (Nr. 10). Vgl.
auch d'Avout, Querelle, S. 193; Coville, Les cabochiens, S. 335.
SO LoMr (h'sf (?M0 /o V HUOÜ osfo VI osfo POMr /o NOM dM r01/HMM!0, Of (?M0 OOMÜ V HUOiOMf
osfo fnoz osfo&Mf JHMÜ, MHMuNs of ONsürs. Chronique des regnes, Bd. 1, S. 150; siehe auch S. 154.
Ähnliche Schilderungen bei Chronique de Richard Lescot, S. 120f.; Gray, Scalacronica, S. 154.
Siehe dazu Mauntel, Legitimität, S. 110.
si Chronographia regum francorum, Bd. 2, S. 265f.; Chronique des quatre premiers Valois, S. 68f.;
Chronique normande, S. 123; Froissart, Chroniques (Ms Amiens), Bd. 3, S. 136. Drei Chroniken
schildern mit einem einfachen Mützentausch Marcels und des Dauphins einen anderen Verlauf
des Geschehens - ausgehend von der königsnahen C^roMäyMO dos rogMOS dürfte diese Variante
auf ein vorteilhafteres Bild des Dauphins ausgelegt sein, da er nicht zur Übernahme des Sym-
bols der Aufständischen gezwungen wurde: Chronique des regnes, Bd. 1, S. 149f.; Chronique
de Richard Lescot, S. 120; Chronique normande de Pierre Cochon, S. 94f. Autrand, Charles V,
S. 300, und Offenstadt, Faire la paix, S. 222, interpretieren den Tausch demnach als Zeichen der
Einigkeit bzw. der Verbrüderung. Die Leichen der Marschälle wurden später still und heimlich
begraben: ebd., Bd. 1, S. 152f.; Chronique de Richard Lescot, S. 120f.; Chronique des quatre
premiers Valois, S. 68f. Siehe zu c/MporoMS als Parteizeichen: Simon-Muscheid, Couvre-chefs,
S. 50, sowie Merindol, Mouvement.
 
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