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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Begr.]; Weinfurter, Stefan [Begr.]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0242

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21 Formen kollektiver Gewalt

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Zum einen sticht die Betonung des Standes hervor. Die Vergewaltigung
der Frauen wurde nur an gedeutet/'"^ so dass die abschreckende Wirkung der
Schilderung in der expliziten Betonung des Standesunterschieds lag. Die Auf-
ständischen wurden auch hier als Menschen mit niederen Instinkten be-
schrieben, die in dieser Ausnahmesituation ihren Trieben freien Lauf ließen.
Die Transgression ständischer Grenzen betraf nicht nur die sexuellen Über-
griffe, sondern spiegelte sich auch in dem im gleichen Atemzug vorgebrach-
ten Hinweis wider, dass die bäuerlichen Aufständischen die Kleidung der
Adligen getragen hätten.
Zum anderen wurde die Unschuld der Opfer betont, wofür gerade Kinder
das Sinnbild schlechthin waren.'"" Zusammen mit Verweisen auf die Gnaden-
losigkeit der Taten wurde so auf die Wehr- und Hilflosigkeit der Opfer ver-
wiesen.^"
Die Dramatik der Darstellung konnte durch weitere erzählerische Mittel
gesteigert werden. Vor allem Jean Froissart fügte nach der allgemein gehalte-
nen Schilderung der Übeltaten individuellere Episoden quasi als ,Einzel-
schicksale' an.''' Der Fokus auf einzelne Personen erhöhte die Intensität der
Erzählung, auch wenn die entsprechenden Passagen vermutlich fiktiv waren:
Sie beruhten vor allem auf topischen Formeln und blieben bezüglich Ort und
Namen der Beteiligten unverortbar, obwohl Froissart es sonst kaum je unter-
ließ, betroffene Adlige präzise beim Namen zu nennen. Der fiktive Charakter
aber schmälerte keineswegs die Wirkung solcher Passagen.
Eine inhaltliche Steigerung wiederum stellte das Töten von schwangeren
Frauen dar, wie Froissart es in einer Szene beschrieb, die topische mit indivi-
dualisierenden Elementen zu einem beklemmenden Bild der Gewalt vereint:
Ein Ritter, gefesselt an einen Holzpfosten, habe mit ansehen müssen, wie die
Aufständischen seine schwangere Frau und seine Tochter erst vergewaltigten
und dann töteten, bevor er selbst nach einem „Martyrium" der Folter starb.""

seine Symapthie gegenüber der einfachen Bevölkerung aus, verurteilt den Aufstand aber den-
noch, vgl. Bulst, Jacquerie, S. 803; Bourgain, Venette; Newhall, Introduction, S. 7.
Ms Expliziter wird dies als Massenvergewaltigung überliefert bei Jean le Bel, Chronique, Bd. 2,
S. 259. Siehe auch Chronique de Richard Lescot, S. 126. Saunders, Sexual violence, S. 153f., ar-
beitet heraus, dass der Vorwurf der Vergewaltigung durch Chronisten bewusst zur Delegiti-
mation eingesetzt wurde.
io9 Vg). den von Herodes angeordneten Kindermord, wie ihn das Matthäus-Evangelium berichtet:
Mt 2,16. Dazu Kortüm, Kriege, S. 242f.; Lutterbach, Kinder, S. 44-49; Gauvard, Grace especial,
S. 826f.; Deimann/Hiltmann, Gewalt; Gauvard, Violence et ordre public, S. 12f.; Gonthier,
Chätiment, S. 39f.
"o Et oeeioient tons gentiiz Fommes ii troMuoient, et e^br^oient tontes &mes et pneeiies, saus pite et
saus merci, ensi comme cFiens esragies. Froissart, Chroniques (SHF),Bd. 5, S. 100 (1,413).
m Siehe z. B. folgende Episode: S'en deren! (...) en ie mdson Fdn cFeudier tpu pries & Fi Feworoit; si
Frisieren! ie mdson et tnerent ie cFeudier, d &me et ies en/Fns, petis et grans. Froissart, Chroniques
(SHF), Bd. 5, S. 99 (1,413). Siehe die Vorlage bei Jean le Bel, Chronique, Bd. 2, S. 256.
n2 Et/isent pis asses, car ii prisent ie cFeudier et ioiierent F nne esdcFe Fien et Jbrt, et uioierent se^mn^
et se/iiie ii piMsieMr, uodnt ie cFeudier; pnis tnerent d Farne, t?ni estoit encFdnte, et se/iiie et tons ies
en/Fns, et pnis ie cFeudier F grant wartire. Froissart, Chroniques (SHF),Bd. 5, S. 99 (1,413). Zur
Verwendung des Märtyrer-Begriffs siehe S. 164, Anm. 144.
 
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