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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0244

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21 Formen kollektiver Gewalt

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Rhetorisch geschickt gab Jean le Bel zunächst vor, über die Schreckensta-
ten aufgrund ihrer Schwere schweigen zu wollen, um sie dann dennoch zu
berichten.' ^ Die bereits bekannten Gewalttaten wurden hier noch durch das
Rösten des Ritters sowie den erzwungenen Kannibalismus gesteigert. Das
Rösten als Foltermethode taucht im 15. Jahrhundert als Vorwurf gegen die
Ecord/curs wieder auf (vgl. dazu S. 196f.) und ist auch im Rahmen der
ne in administrativen Quellen belegt: Der Herzog von Burgund, Philipp der
Kühne, ließ 1377 einer Frau ein Almosen zukommen, deren Sohn von den
Jacques über dem Feuer geröstet worden war.ns
Es wird sich nicht nachweisen lassen, ob sich Gewaltstereotype aufgrund
ihrer Glaubhaftigkeit bis in den Schriftgebrauch der burgundischen Rech-
nungskammer verbreitet haben, oder ob Jean le Bel tatsächlich eine ihm zuge-
tragene Geschichte niederschrieb. In beiden Zusammenhängen beruhte die
Wirkung der Beschreibung jedoch auf der abschreckenden Barbarei der TatV
Als deren Sinnbild wurde Kannibalismus im 9./10. Jahrhundert den Ungarn
und im 13. Jahrhundert den Mongolen vorgeworfenV" Während diesen
,Fremden' das Essen von Menschenfleisch als kulturelle Praxis zugeschrieben
wurde, sollen sich die Jacques eben dieser barbarisch konnotierten Praktik
bedient haben, um ihre Opfer zu demütigen: Das Rösten des Ritters degra-
dierte diesen zu einem Tier; der Zwang, sein Fleisch zu essen, machte aus
seiner Ehefrau eine Barbarin. Der Kannibalismus, den die Chronik als Sinn-
bild des Hasses der Landbevölkerung gegenüber dem Adel schildert, fällt in
seiner Barbarei jedoch auf die Jacques selbst zurück. Jean Froissart übernahm
die Episode von Jean le Bel, fügte aber eine explizite Wertung hinzu: Derarti-
ge Wahnsinnstaten habe es nicht einmal zwischen Christen und Sarazenen
gegeben V Froissart spielte damit indirekt auf interreligiöse Kämpfe an, die
er offenbar als besonders intensiv und blutig vor Augen hatte. Raoul Tainguy
steigerte dies 1413 in seiner Interpolation von Froissarts Chronik noch, indem

Ls op/HMS. Aproz re pMO x OM xd OMroMf op/brcL L dawo, ;7 /Mi/ OM uoM/MroMfyM'ro woMgLr pgr^rco, pMi's
;7z L/Li'M/ won'r de muL wioit lean le Bel, Chronique, Bd. 2, S. 257.
'Zu diesem rhetorischen Mittel siehe Baraz, Medieval cruelty, S. 128; Groebner, Ungestalten,
S. 139.
ns Dijon, Archives departementales de la Cöte-d'Or, B 1451, fol. 85'/ ediert bei Luce, La France,
Bd. 2, S. 21; siehe auch Chareyron, Crimes, S. 113f. und Bommersbach, Gewalt, S. 75, mit Ver-
weisen auf Luce.
n9 Siehe dazu Medeiros, lacques, S. 32-36. Gauvard weist darauf hin, dass etwa die den Soldaten
typischerweise in historiographischen Quellen zugeschriebenen Gewaltstereotype auch in an-
deren Quellengattungen auf tauchen, Gauvard, Grace espedal, S. 197-233 und 859; Gauvard,
Rumeur [2000], S. 283.
120 Siehe dazu Schmieder, Menschenfresser, bes. S. 165f. und 171-176, mit Verweis auf Holden-
ried. Fremde. Siehe auch Ohler, Sterben, S. 197-199, der den Kannibalismus-Vorwurf zu den
„Stereotypen der Feindpropaganda" zählt. Zur Einbettung in die Diskussion um die Mon-
golen im 13. Jahrhundert siehe Fried, Suche, bes. S. 297.
121 Corfos, 0M(?Mcs M'Hubd OMho crosfdoMS Mo Sarms/Ms LL^rsoMorL pMO cos mosc/MMS goMsyMso/oMf; car
tpu p/MsyMsod & WMMS OM & p/MS & udL/Msyds, foLyds pMO cmdMro dMMM/MMO wo douorod osor poM-
sor, au/sor Mo rogardor, cdz osddf d p/MS pn's/bs OMho i/HMS of d p/MS graMS woshos. Jo M'osoro/o oscr/ro Mo
racoMfor /os dorrddos Jd/s of /MCOMu/gMaMos pMO d Jd/so/oMf as dawos. Froissart, Chroniques (SHF),
Bd. 5, S. 100 (1,413).
 
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