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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0245

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244

IVI Problematisierungen

er in dieser Passage die Christen durch die Juden ersetzte.'^ Die Ausgren-
zung der Jacques, wurde noch erhöht, indem der Chronist ihre Taten in den
Kontext zweier fremder Kulturen stellte.^ Gleichzeitig entwickelt er die Vor-
stellung, dass die Entfesselung derartiger Barbarei weitere Gewalt hervor-
bringen würde: In Tainguys Darstellung zwangen andere Aufständische die-
jenigen die zuvor die Frauen vergewaltigt hatten, nun ihrerseits das
Fleisch des Ritters zu essen, um sie dadurch zu weiteren Grausamkeiten an-
zutreiben. Als die sich weigerten, wurden sie selbst getötet.'^ Die Tä-
ter wurden zu Opfern, so Baraz, und deckten so auf, dass sie selbst nur das
Ziel der Anderen waren, die sie an Grausamkeit noch übertrafen V5
Beim Versuch, die Gewaltzuschreibungen der Chronisten zu strukturie-
ren, fallen vor allem zwei Ebenen auf: Zum einen übertreten die Jacques in den
historiographischen Darstellungen immer wieder Standesgrenzen, z. B. durch
die ihnen zugeschriebene Intention, den Adel zu vernichten, durch massive
sexuelle Gewalt oder die im selben Atemzug beschriebene Aneignung adliger
Kleidung. Die geschilderten Gewalttaten wie Tötung und Vergewaltigung
stehen damit nicht für sich, sondern versinnbildlichen die Bedrohung der
gesellschaftlichen Ordnung durch den Aufstand.'^ Zum anderen werden den
Aufständischen Praktiken zugeschrieben, die traditionell für fremde ,Andere'
stehen, seien es religiös oder kulturell differente Gruppen.'^ Zwar stilisieren
die Schilderungen von Jean le Bel, Froissart und Tainguy die nicht
selbst zu Kannibalen, sondern lassen sie diese Praktik ,nur' erzwingend^
Dennoch dürfte der Gedanke an Kannibalismus das Bild des fremden ände-
ren', des Barbarischen evoziert haben. Der Hinweis der Chronisten, dass man
Adlige zu solchen Praktiken zwang, belegte in ihren Augen jedoch das Zivili-
sationsgefälle zwischen Adel und das zudem kein innergesellchaftli-
ches war, denn die wurden durch explizite Vergleiche mit Nicht-
Christen aus der dinsfMmhzs ausgeschlossen.

122 Corfos om?Mos M'guwf twüc /Mi/s ne Sarrazins fblo rage Mojorsonnorlo res gtws Jälsoäwf. Der Au-
tograph des Werks Tainguys Regt in Leiden, Universiteitsbibliotheek, VGG F 9, fol. 228-229,
zitiert nach Luce, Histoire, S. 339f. Verweis bei Baraz, Medieval cruelty, S. 127f.
i22 So Baraz, Medieval cruelty, S. 126-129; synoptischer Vergleich der Texte S. 205-207 (Appendix
6). Zu Raoul Tainguy und seinen Arbeiten siehe Tesniere, Manuscrits; Oeuvres completes
d'Eustache Deschamps, Bd. 2, S. vi-xvi. Siehe auch Bommersbach, Gewalt, S. 73f., mit Verweis
auf Baraz.
124 Et p:ds aprbs erstes manualscs wäyMRoz, ;7z tw uoMMrtwf ä 1a damojälro wanglor parjbrco, et anssl ä ces
doMze ulRalns tM(?es tpu 1a (R'cte damo auoäwf e^fbretee, s; commoj'ai/ d;'t, ponr eMÜ acRarnor toMsfoMrs
ptMS ä tetes crMHMttezJäRe, wals ;7z n'on uoMMrewt on^Mos wanglor; et ponr ce les HMtres ulRalns t:{^tez
et gMielters tes tMerewt et/heut wonrlr & ulRalno wort. Luce, Histoire, S. 340.
i22 Baraz, Medieval cruelty, S. 128.
i26 Baraz verkennt also den am Ständesystem orientierten Hintergrund der Schilderungen wenn
er schreibt, Froissart habe „sexual violence as the main danger of the peasant insurrection"
dargesteHt; vgl. ebd., S. 126.
i22 Anders Challet, L'exclusion, S. 375f., der die Beschreibungen als Verweise auf die ,nicht be-
gnadigbaren' Verbrechen deutet; siehe dazu S. 281 dieser Arbeit. Zur Tradition der monströ-
sen Völker' im Mittelalter siehe Münkler, Die Wörter.
i28 Auch hier irrt Baraz, Medieval cruelty, S. 126, mit der Behauptung, Froissart habe den Auf-
ständischen vor allem sexuelle Gewalt und Kannibalismus zugeschrieben. Bommersbach, Ge-
walt, S. 74, übernimmt diese Argumentation.
 
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