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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0250

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21 Formen kollektiver Gewalt

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zeichnend, dass, wie schon bei der Beschreibung der Einnahme von Soissons
1414, gar nicht erst versucht wurde, die Gewalttätigkeit der Repression zu
beschönigen oder zu verschweigen. Durch die vorherige Zuschreibung von
Grausamkeit und die narrative Entmenschlichung in den Berichten des Auf-
stands hatten die Chronisten die /aojMes bereits delegitimiert und somit die
spätere Gewaltausübung gegen sie gerechtfertigt: Die Repression der Auf-
stände seitens der Obrigkeit musste also gar nicht mehr im Einzelnen be-
gründet werden.'^ Die Stilisierung der als Gefährdung der gottgege-
benen irdischen Ordnung machte die Repression des Aufstands umso drän-
gender, beziehungsweise ließ die Niederschlagung etwa für den Autor der
dife de /een de Veneüe als geradezu natürlich erscheinen: Da die Auf-
ständischen keiner legitimen Autorität unterstanden und schlecht handelten,
konnte ihr Vorhaben gar keinen Erfolg habend^ Die gewaltsame Repression
stellte folglich die natürliche Ordnung wieder her und war damit nicht nur
rechtmäßig, sondern ohnehin unvermeidlich. Die Gegengewalt der Adligen
musste also wegen der Grausamkeit und Unmenschlichkeit der weder
gerechtfertigt noch verschwiegen werdend^
Widerspruch taucht in den Quellen allerdings von zwei Seiten auf: erstens
von den Nicht-Adligen.^ Die Beschwerde über das ungerechte Vorgehen der
Adligen ist in mehreren Begnadigungsbriefen fassbar'^ und auch Etienne
Marcel klagte in seinem Brief vom 11. Juli 1358 über das Wüten des Adels
gegen die Jacques. Um die Repression gegen die Landbevölkerung besonders
drastisch darzustellen, griff er zu exakt denselben Stereotypen, die die Chro-
nisten auf die Jacques anwandten: Der Adel habe geplündert und Feuer gelegt,
die Bevölkerung getötet, Frauen, Kinder, Priester und Mönche gefoltert, um
Beute zu erpressen (wobei viele gestorben seien), er habe Kirchen geplündert
und Frauen vergewaltigt...^"

Chroniques (SHF), Bd. 5, S. 102 (1,414); Chronique des quatre premiers Valois, S. 75f.; Chro-
nique des regnes, Bd. 1, S. 187.
Baraz, Medieval cruelty, S. 124-128; vgl dazu auch Neveux, Revoltes, S. 104f.
155 IsfMÜ MOgOÜMW WOMShMOSMW (ÜM MOM dMrHfit.' SKTMf H SÜpSO, (4 MOM H Doo; MOC HMCfonWo
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&r;'MW SMNlo U/üuW. (...) iddreo (?Mod mdo HgoEgMi ^Mraro d;*M MOM polend, nee &MwMl.
Chronique dite de Jean de Venette, S. 176. Die fehlende Autorisierung betont vor allem der
Dauphin in der Leihe de remission generale, 10.08.1358, Paris, AN, JJ 86, fol. 80 (Nr. 241), ediert
bei Luce, Histoire, S. 251-253 (Nr. 23), hier S. 252: sanz LaMtorite ei iieenee de nosire dii seigneMr OM
de noMS.
157 Bommersbach, Gewalt, S. 76f. Zur Rechtfertigung der Gewalt als ,Gegengewalt' siehe S. 217,
Anm. 460.
158 Dazu Bommersbach, Gewalt
159 Siehe S. 248, Anm. 153.
160 Brief Etienne Marcels vom 11.07.1358, Kervyn de Lettenhove, Deux lettres, S. 98; Perrens,
Etienne Marcel [1860], S. 403; Froissart, Oeuvres, Bd. 6, S. 468; Perrens, Etienne Marcel [1874],
S. 280; Delachenal, Histoire de Charles V, Bd. 2, S. 417. Siehe dazu Baraz, Medieval cruelty,
S. 129f.; Bulst, Kollektive Gewalt, S. 158, scheint diese Darstellung Marcels wörtlich zu nehmen:
„Trotzdem ist klar, daß der Adel zum Teil die Jacques an Grausamkeit noch übertraf. Auch er
vergewaltigte Mädchen und Frauen vor den Augen ihrer Männer, tötete ohne Unterschied
Schuldige und Unschuldige, Frauen, Kinder, Priester und Mönche [...]." Ein einordnender
Verweis auf die Einseitigkeit der Quelle erfolgt erst später.
 
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