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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

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https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0261

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260

IVI Problematisierungen

die „Königin Zwietracht" erhoben habe, „Vernunft" und „Gerechtigkeit"
gewichen seien und „Zorn" und „Gier" die Oberhand gewonnen hätten:
,„Wahn' leitete sie in die Irre. ,Mord' und ,Tötung' mordeten,
schlachteten, töteten und beseitigten gnadenlos alle in den Gefängnis-
sen, die sie finden konnten, sei es zu Unrecht oder zu Recht, sei es
ohne oder mit Grund.
Durch die Vielzahl von Allegorien^ gelingt es dem Bourgeois, das Grauen
verklausuliert wiederzugeben, ohne die eigentlichen Akteure zu benennen.
Zudem erscheinen die Pariser durch Affekte fremdbestimmt zu agieren und
wären damit für ihre Taten nicht selbst verantwortlich. Ihre Handlungen
wiederum entziehen sich durch die Art der Schilderung jeder näheren Er-
klärbarkeit und der Bourgeois selbst vermied eine klare Stellungnahme, ob er
das Vorgehen im Einzelfall als rechtmäßig und begründet ansah, oder nicht.
Signifikant für die Frage nach Gewaltbildern sind die Passagen, in denen
der Bourgeois auf die Leichen der Opfer eingeht: Man habe die Toten ausge-
plündert und ihnen nicht einmal ihre Hosen gelassen, was er als „große
Grausamkeit und christliche Unmenschlichkeit"^ bezeichnet. Nacktheit be-
deutete Demütigung: Strafriten waren oft mit Nacktheit verbunden und gal-
ten dann als noch ehrenrühriger. Ebenso ist die spätere Zurschaustellung
nackter Leichen zu deuten, wie es auch dem Grafen von Armagnac wider-
fuhr.^? Während Nacktheit vor allem Erniedrigung und Entehrung bedeutete,
wurde mit der Vorstellung von verstümmelten Körpern vor allem Abscheu
und Schrecken assoziiert. Der adligen Welt galt der trainierte, saubere und
intakte Leib als körperliches Ideal und Spiegel eines moralischen Lebens,
seine (mutwillige) Verletzung war damit auf jeden Fall gravierend (vgl. dazu
S. 364-370). Entsprechend eindringlich ist die Beschreibung des Bourgeois,
dass die Wut die Pariser schließlich so weit getrieben habe, immer wieder auf
die Leichen einzustechen, bis diese letztlich völlig entstellt und nicht mehr zu
erkennen gewesen seiend^ Der Hass der Pariser bündelte sich in der kol-

Lors Foreenerie ia desuee, ei Menrire ei Oeeision oeeireni, adaiiireni, inereni, menririreni ioni re tpFüs
ironuereni es prisons, saus merei, ^ni de iori on de droii, saus eanse on a eanse. Journal d un Bour-
geois, S. 116 (§200).
225 Der Bourgeois führt in der kurzen Episode 17 allegorische Figuren an: Disoorde, MeH-Consed
(sicj, Ire, Conuoiiise, Fnragerie, Vengeanee, Raison, Jnsiice, Memoire de Dien, Aiirempanee fsicj, Tra-
dison, Foreenerie, Menrire, Oooision, Rap ine, La rein, Piiie; Journal d'un Bourgeois, S. 115-117
(§200-201), bes. S. 115 Fußnote. 84.
226 (...) tpü gppf MMe des pins grandes ernaMies ei indMmaniie edreiienne (aj andre de (?Moi on pnd parier.
Journal d'un Bourgeois, S. 116 (§200).
22? Gauvard, Grace especial, S. 791; Ohler, Sterben, S. 221; Raynaud, Violence, S. 58. Zum Grafen
von Armagnac siehe S. 254f.
228 Westerhof, Death, S. 28-82.
229 Qnand Menrire ei Occision auaieni re, reuenaieni ioni ie jonr Conuoiiise, Ire, Vengeance, ^ni,
dedans ies corps dMmains ^ni moris eiaieni, doniaieni ionis manieres d'armes, ei en ions iienx ei iani
(?Me, auani ^Me/iid prime dejonr, (iis) enreni iani de conps de iaiiie ei d'esioe an uisage, ^:Fon nd/ pon-
uaii domme connaiire ^nei ^:Pii/Mi, ce ne/ni ie eonneiadie ei ie edaneeiier ^Mi/nreni connns an Bi on
ines eiaieni. Journal d'un Bourgeois, S 116 (§200). Der Bourgeois nahm das Motiv der Verstüm-
 
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