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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0262

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21 Formen kollektiver Gewalt

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lektiven Verstümmelung der Leichen, an der nun nach deren Tötung jeder
teilnehmen konnte. Eine Identifizierung etwa des Grafen von Armagnac an-
hand seines Gesichts war, so der Bourgeois, nicht mehr möglich - man hatte
ihm gewissermaßen seine Identität genommen A" Damit blieben selbst her-
ausgehobene Opfer unter den Armagnacs anonym beziehungsweise wurden
geradezu entmenschlicht: Die Toten, so der Bourgeois, hätten vor den Gefäng-
nissen gelegen, als seien sie Hunde oder Schafe gewesen A'
Trotz der generellen Verurteilung des Massakers durch den Bourgeois hat
sein Bericht grundsätzlich die Tendenz, die Tötungen zwar als Exzess zu be-
nennen („sie waren über alle Maßen erzürnt"^), sie jedoch durch die erzähle-
rische Verknüpfung mit den geplanten Taten der Armagnacs indirekt als
präventive Gewalt zu rechtfertigen.^ Dieser Ansatz wird auch mit Blick auf
die typischen Gewaltzuschreibungen deutlich: Gegenüber der kollektiven
(und anonymen) Verstümmelung prominenter Armagnacs schrieb der Bour-
geois stereotype Tabubrüche nur Individuen zu: So habe der Henker Capelu-
che am 22. August einige Frauen hingerichtet, um sie danach nur mit einem
Hemd am Körper auf dem öffentlichen Platz liegen zu lassen. Darunter sei
eine Schwangere gewesen, die zudem unschuldig gewesen sei, wie der Botir-
geois explizit bemerkte.^ Die Berichte Pintoins und des Bourgeois schildern
beide eine derartige, demütigende Hinrichtung einer Frau. Während Pintoin
dem Henker Capeluche aber unterstellte, er wollte mit diesen Taten andere zu
ähnlichen Grausamkeiten anstacheln,^ wurde er beim Bourgeois wenige Tage
später dafür hingerichtet,^6 womit die Tat von der nunmehr burgundischen
Obrigkeit als Verbrechen erkannt und umgehend bestraft wurde (siehe
Abb. 3, S. 435).

melung noch einmal bei der Schilderung des zweiten Massakers vom 21. August auf und be-
richtete, die Gefangenen seien aus den Fenstern geworfen und dann, ohne Gnade, durch mehr
als hundert tödliche Wunden umgebracht worden, Journal d un Bourgeois, S. 126 (§220).
230 Dazu Slanicka, Feindbilder, S. 99-101. Als Parallele sei hier auf den Tod Karls des Kühnen auf
dem Schlachtfeld von Nancy, 1477, hingewiesen: Die Leiche des Herzogs konnte aufgrund der
fehlenden Kleidung und des entstellten Gesichts erst Tage später gefunden und identihzert
werden, siehe dazu S. 382, Anm. 110.
233 Journal d un Bourgeois, S. 117 (§201), Textzitat auf S. 254, Anm. 191.
232 Lors^hroMf A/MH/gs OHOv wiosHro. Journal d'un Bourgeois, S. 115 (§200).
233 Der PoMrgoois legte den Aufständischen folgende Worte in den Mund: Anss;' oni-iis (Pio Arma-
gMaCS, CMjyüf SaCS ponr MOMS M01/0r Of MOS Of MOS OM/HMfS, Of (i'is) OMtyMiyurO OfOM&rPs ponr
io roi P AMgioiorro of ponr sos oiiouaiiors, ponr moffro snr Ls porfos & Paris, (?MaMp iis i'aMroMf Pure anx
AMgiais. Journal d'un Bourgeois, S. 117 (§201); siehe auch ebd., S. 128 (§222), sowie in dieser Ar-
beit S. 258, Anm. 217.
234 pgm, io iMMpi OMSMiuaMf, 22''jonr P'aoiif, (pMroMfJ accMsoos aMCMMOs^ÖMMMOs, ios^Moiios/MroMf fnoos of
misos snro los oarroanx saMS roiv tyno ionr oiiowiso, of a oo^iA Aaif pins OMOÜM io FoMrroaM ^Mo MMi Pos
aMfros; OMiro ios^MoiiosA^^^s ii fna MMoA^M^ grosso, ^ni OM oo oas M'auaif aMOMMO oonipo. Journal
d'un Bourgeois, S. 128 (§224).
235 Chronique du Religieux, Bd. 6, S. 264.
236 Journal d'un Bourgeois, S. 129 (§224).
 
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