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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0283

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282

IVI Problematisierungen

Gegenüber dem stark negativ konnotierten menrÜT ließe sich der /iomzczde
am besten recht neutral mit .Tötung' übersetzen; die beiden Begriffe können
also keinesfalls gleichgesetzt werden.^ Der Unterscheidung zwischen hinter-
hältigem. nächtlichem Mord und neutraler Tötung fußt auf der Vorstellung,
dass eine gewaltsame Konfliktlösung allgemein akzeptiert - wenn nicht sogar
positiv konnotiert - war. solange sie gewissen Mustern folgte, nämlich denen
des Izczzzz^zzzh Eine .schöne Tat' im Sinne einer akzeptierten Praxis war es. aus
Notwehr und im Affekt jemanden zu töten, der einen auf die ein oder andere
Art und Weise geschädigt oder beleidigt hatte. Die meisten Begnadigungs-
briefe spiegeln diese Logik in ihrer Argumentation sehr deutlich: Das .Opfer'
wurde in der Erzählung als der eigentliche Aggressor dargestellt, so dass dem
Supplikanten nur der Part des Reagierenden zukommt. Die Umstände der
Tötungen, wie sie typischer weise in den Begnadigungsbriefen geschildert
werden, basieren auf einem fast stereotypen Narrativ: Die Streitigkeiten wer-
den häufig in einem öffentlichen Raum verortet (Tavernen. Plätze. Straßen),
am Anfang fallen beleidigende Worte, deren Ehrverletzung zunächst mit
einer Entgegnung, dann mit Gesten und Schlägen beantwortet werden;
schließlich folgt eine Eskalation, bei der die Schläge tödlich werden oder einer
der Beteiligten ein kleines Brotmesser zückt.^ Das kleine Messer, das jeder
zum Schneiden von Brot bei sich trug, galt nicht als Waffe, und signalisierte
damit ebenso wie das öffentliche Umfeld, dass keineswegs die Intention zu
Töten bestand. Häufig starben die Opfer laut den Schilderungen der Begna-
digungsbriefe erst einige Tage später an den Verletzungen. Diese Narrative
zielten darauf, die Tötung nicht als kaltblütig und kalkuliert, sondern als
spontan und affektiv darzustellen (dzzzzzdc coEe)A Die Supplikanten stellten
sich als beleidigt und bedroht dar und begründeten damit ihre gewaltsame
Reaktion - deren Folgen wiederum fanden aufgrund der Umstände häufig
die obrigkeitliche Gnade. Der Akt des Tötens bedurfte damit zwar dezidiert
einer Rechtfertigung, um begnadigt zu werden; Tötungen, die im Affekt und
zur Ehrverteidigung begangen wurden, konnten jedoch mit breiter sozialer
Akzeptanz rechnen.
Rachemorde dagegen wurden zunehmend kriminalisiert und nur noch
unter bestimmten Bedingungen akzeptiert, etwa als unmittelbare Reaktion
auf eine Ehrverletzung von Verwandten.^ Folgte Rache jedoch einem be-

25 Gauvard, Violence Reite. S. 95f. und 109. vgl. auch Gonthier. Chätiment, S. 12-14 und 19-24. In
der Chronistik werden die Begriffe nicht trennscharf verwendet: Die Morde an Ludwig von
Orleans und Johan Ohnefurcht etwa werden nicht konsequent als wcMrfrc bezeichnet, sondern
häufig als - dann jedoch oft mit qualifizierenden Epitheta wie .grausam' oder
.schrecklich': Trcs crMd Monstrelet. Chronique. Bd. 1. S. 163; f...J L mcMUnrcMf H Mon-
fcrcHM. Chastellain. Oeuvres. Bd. 1. S. 22. Siehe dazu Gauvard. Grace especial. S. 788-803; zu
Auftragsmorden siehe Gauvard. Violence commanditee.
26 Das Folgende nach Gauvard. Grace especial. S. 707-718. Siehe zum Brotmesser als Waffe auch
Jaritz. Bread-knife.
22 Gauvard. Grace especial. S. 361.
28 Das Folgende nach ebd.. S. 753-764. die u.a. nachweist, dass Rache keineswegs nur ein Motiv
des Adels war. sondern unter allen gesellschaftlichen Gruppen verbreitet war; ebd.. S. 765-771.
 
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