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Mauntel, Christoph; Schneidmüller, Bernd [Bibliogr. antecedent]; Weinfurter, Stefan [Bibliogr. antecedent]
Gewalt in Wort und Tat: Praktiken und Narrative im spätmittelalterlichen Frankreich — Mittelalter-Forschungen, Band 46: Ostfildern, 2014

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.34763#0310

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31 Formen interpersoneller Gewalt

309

hier wiederum Rache geübt worden warA"? Die Burgunder hatten zwar nun
ihrerseits ein „Rachemotiv [...] so schwarz wie ein Katafalk"^, verzichteten
jedoch auf direkte physische Vergeltung und machten sich stattdessen daran,
ihre Pläne politisch umzusetzen. Dieser erneute Strategiewechsel mag auch
damit zu tun gehabt haben, dass in diesem Fall der Dauphin das Ziel der
Bourguignons gewesen wäre. Dieser aber mag aufgrund der sakralen Aura
des Königtums in Frankreich gegenüber anderen Fürsten als unantastbar
wahrgenommen worden sein.^ Eine solche Zentrierung auf die Monarchie
ist typisch für die politische Kultur des spätmittelalterlichen Frankreich und
dürfte einer der Gründe gewesen sein, warum sich der Konflikt zwischen
Armagnacs und Bourguignons gerade in der Regierungszeit Karls VI. entwi-
ckelte, der wegen seiner Krankheit als ausgleichende Vermittlungsinstanz
ausfiel und ein Macht vakuum hinter ließ.
Die hier vorgestellten vier Morde erstrecken sich über einen Zeitraum von
65 Jahren und waren spektakuläre Einzelfälle: Schon ihre breite und nachhal-
tige Thematisierung in der zeitgenössischen Chronistik zeigt, dass derartige
Tötungen keineswegs der Normalfall der politischen Auseinandersetzung
waren. Dennoch war die Ermordung des politischen Gegners denkbar ge-
worden und zählte nun zum Formenrepertoire der Konfliktlösung. Ohne die
Abwesenheit eines handlungsfähigen Königs und die verschärfte politische
Auseinandersetzung in Kriegszeiten (Bretonischer Erbfolgekrieg, Hundertjäh-
riger Krieg, Bürgerkrieg) wären die Fürstenmorde vermutlich kaum möglich
gewesen - sie sind damit Folge sowohl der verbreiteten Gewaltausübung der
Kriege als auch der Ideologisierung der PotitikA" Politische Attentate blieben
damit eine temporäre Ausnahme, die über den Charakter des ohnehin verbo-
tenen Mordes hinaus auch als klarer Bruch traditioneller Ideale gesehen wur-
den A" Als Enguerrand de Monstrelet um 1450 seine Chronik beendete, reflek-
tierte er rückblickend über die politische Kultur seiner Zeit und hielt aus-
drücklich fest, dass Könige und Fürsten keinesfalls gemeinsame Sache mit
Mördern und Attentätern machen dürften3'^

313.2 Kollektive Paranoia: Die Angst vor Vergiftung
Als Karl VI. sich 1392 nach dem Attentat auf seinen CotmehzhU, Olivier de
Clisson, auf eine Kriegsexpedition in die Bretagne aufmachte, erlitt er im
Wald von Le Mans einen Nervenzusammenbruch. Die Spekulationen über
die Ursache dieses Unglücks ließen nicht lange auf sich warten: Laut Froissart
hätten manche vermutet, der König sei vergiftet oder verzaubert worden;

207 Ebd., S. 93f.
208 Huizinga, Herbst, S. 19.
209 Guenee, Folie, S. 223-236 und 251-262; Bulst, France, S. 131f.
2'o Guenee, Meurtre, S. 105f.
2'' Dagegen Kintzinger, Maleficium, S. 79, 87 und 92, der die Attentate zwar als ,ultima ratio',
aber auch als Fortschreibung traditioneller Handlungsmuster deutet.
2'2 iE MC doAtVMi soMstcMlr mcMnin'crs, MC Immmcd&s. Monstrelet, Chronique, Bd. 6, S. 107. Zur
Abfassungszeit siehe Zingel, Frankreich, S. 42f.
 
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